Rheinische Post: Der etwas andere Papst ist Chance für die Kirche

Kommentar von Sven Gösmann

Kirchenkrise? Glaubenszweifel? Entmystifizierung des Papstamtes?
Von wegen. Zigtausende auf dem Petersplatz in Rom, Milliarden
Christen, Kirchenkritiker, Atheisten, Heiden, Agnostiker vor den
Fernsehern warteten gestern um kurz nach 20 Uhr gebannt auf den Namen
des neuen Papstes. Fasziniert, bewegt und voller Erwartung, was der
neue Mann auf dem Stuhl Petri bringen wird. Einst der Bischof von
Rom, ist er heute der Bischof der Welt. Oder um es mit Franziskus I.
zu sagen: ein „Papst vom Ende der Welt“. Und was für einer! Die Wahl
des Erzbischofs von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, ist eine
Sensation, und das nicht nur aufgrund der Art ihres Zustandekommens
durch den einmaligen Rücktritt seines Vorgängers Benedikt XVI. Im
Vorfeld des Konklave wurde er von Kirchenkennern allenfalls als
Außenseiter genannt. Zu exotisch wirkte Bergoglio in der
jahrtausendalten Geschichte der römisch-katholischen Kirche: aus
Argentinien, der einzige Jesuit im Konklave, oft „Kardinal der Armen“
genannt, ein bescheidener Mann mit angeblich angegriffener Gesundheit
und schon 76 Jahre alt. Immerhin: Bergoglio hat italienische Wurzeln,
was ihm Sympathien der einflussreichen italienischen Kardinäle
gesichert haben könnte. Sein erster Auftritt wirkt wie eine
Bestätigung seines Images auch im neuen Amt. Fast schüchtern, doch
mit fester Stimme begrüßte er die Gläubigen auf dem Petersplatz mit
einem schlichten „Buona sera“. Für seinen Vorgänger betete er ein
Vaterunser und ein „Gegrüßet seiest du, Maria“. In einer so noch nie
gesehenen Demutsgeste bat er die Menschen auf dem Petersplatz zum
gemeinsamen Gebet, damit ihn der Herr segnen möge. Äußerlich
erinnerte er manche, die ihn sahen, an den Kirchenerneuerer Johannes
XXIII., der 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete, dessen
Reformen bis heute die katholische Kirche prägen, wenn sie auch
teilweise unvollendet blieben. An diesen volksnahen Papst und wohl
auch an den großen Charismatiker Johannes Paul II. will sein
Nachfolger offenbar anknüpfen. Seine Namenswahl in Erinnerung an den
Heiligen Franz von Assisi verspricht einen Papst, der sich um die
großen sozialen Fragen unserer Zeit kümmern will, und das in der
befreiungstheologischen Tradition seines Südamerika. Der in seiner
Bescheidenheit um so spektakulärere erste Auftritt, die Namenswahl
mit einem gewissen Pathos zeichnen bereits die Veränderung vor, die
von diesem ersten Papst aus Lateinamerika ausgehen wird. Die dortige
katholische Kirche ist eine andere als die mitteleuropäische, die wir
kennen. Inbrünstiger, volksnäher, auch theatralischer, weniger
gelehrt. Sie ist eine Kirche im Aufbruch, die leere Gotteshäuser
nicht kennt, sondern wachsende Gemeinden. Der Glaube ist hier auf dem
Vormarsch, nicht auf dem Rückzug. Gleichzeitig aber ist sie eine
durchaus konservative, bewahrende Kirche. So wandte sich der
Erzbischof von Buenos Aires entschieden gegen die Legalisierung der
Homo-Ehe in seinem Heimatland. Seine Ordensbrüder ermahnte Bergoglio
immer wieder, sich zuerst ihrer religiösen Pflicht, dann weltlicher
und politischer Kür zu widmen. Noch ist Franziskus I. für uns vor
allem ein Fremder. Die Themen, die der deutsche Katholizismus und
seine Kritiker so häufig in den Mittelpunkt rücken, die Ökumene etwa,
dürften nicht zu seine Herzensanliegen gehören. Immerhin kennt er
Deutschland aus der Zeit seiner Promotion. Die größte Herausforderung
seiner Amtszeit liegt für Franziskus wohl darin, die nötigen
innerkirchlichen Reformen anzustoßen. Haben doch die weltweiten
Skandale wie die Intrigen innerhalb der vatikanischen Mauern seinen
Vorgängern zermürbt. Will der neue Papst seine Kirche zu neuer
Strahlkraft auch außerhalb seines Heimatkontinents führen, dann muss
er sie zuerst einen. So könnte der 76 Jahre alte Heilige Vater ein
Papst des Übergangs werden, der aber Reformen angestoßen und seine
Kirche und damit den Glauben insgesamt gekräftigt hat. Dann wäre viel
gewonnen durch den Ordensmann, den kaum einer auf der Rechnung hatte.

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