Rheinische Post: Der Verlierer heißt Röttgen

Ein Kommentar von Sven Gösmann:

Norbert Röttgen hat sein Wahlziel erreicht. Er kann in Berlin
bleiben. Normalerweise beginnt man die Analysen von Wahlen mit dem
Gewinner und künftigen Ministerpräsidenten. Doch diese Landtagswahl
wurde mehr vom unterlegenen CDU-Spitzenkandidaten geprägt. Gestartet
als Bundesumweltminister und gar nicht so heimliche Kanzlerreserve
der Union, hat Norbert Röttgen für seine Partei ein historisch
schlechtes Ergebnis eingefahren. Diese Niederlage hat mehr mit
Röttgen selbst als mit der Landes-CDU zu tun. Sein Wahlkampf war von
vornherein verkorkst. Sein Taktieren bei der Frage, ob er auch als
Oppositionsführer nach Düsseldorf kommen würde, wirkte sich auf die
Mobilisierung seiner Partei wie ihrer Kernwähler verheerend aus.
Röttgen entmannte zudem seine Mitstreiter aus der Landtagsfraktion,
deren Sparvorschläge er kassierte, um dann eigene schuldig zu bleiben
– gleichzeitig führte er einen Schuldenwahlkampf gegen Rot-Grün.
Versuche, Volksnähe zu zeigen, gerieten peinlich. Gestern etwa
antwortete er handschriftlich in einer Sonntagszeitung auf die Frage,
welcher „Tatort“ aus NRW der beste sei: „Köln – aber Dortmund und
Münster sind auch gut.“ Die TV-Premiere des Dortmunder „Tatort“ ist
erst für den Herbst 2012 geplant. Das mag banal sein, ist aber
bezeichnend: Sind in einem Landtagswahlkampf jemals so viele Fehler
einem einzelnen Politiker unterlaufen? Darauf verweist auch die
Berliner CDU-Spitze zu Recht. In Düsseldorf fand eine Landtagswahl
statt, keine Abstimmung über Angela Merkels Politik. Und somit
bleiben die bundespolitischen Auswirkungen für die schwarz-gelbe
Koalition überschaubar. Die Merkel-Karawane zieht weiter. Ihr Kalkül:
Bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 kann die Kanzlerin noch zweimal
den Euro retten, das reicht immer für 35 Prozent plus x auf
Bundesebene und damit möglicherweise für eine große Koalition.
Hannelore Kraft hat ihr Wahlziel auch erreicht. Sie kann
Ministerpräsidentin bleiben. Die Sozialdemokratin bewies im Gegensatz
zu ihrem Herausforderer eine hohe Übereinstimmung mit ihrem
plakatierten Image. Doch mit der Kümmerin allein wird es für Kraft in
den kommenden fünf Jahren nicht getan sein. Schon bei der Berufung
ihres Kabinetts muss sie zeigen, dass sie diesmal nicht nur viel
zweite oder dritte Wahl aus der Landes-SPD rekrutieren kann, sondern
ein schlagkräftiges Team. Das wird sie brauchen: Denn ihre
Landesregierung ist die erste in NRW, die unter dem tatsächlichen
Druck der Schuldenbremse antritt, also dem Ziel, 2020 einen
ausgeglichenen Landeshaushalt vorlegen zu können. Dazu bedarf es
einer konsequenten Reduzierung staatlicher Ausgaben. Das wird die
tatsächliche Kraft-Probe. Sylvia Löhrmann hat ihr Wahlziel zum Teil
erreicht. Sie bleibt in der Regierung, doch die Grünen konnten von
der Neuwahl nicht profitieren. Die Grünen agierten in diesem
Wahlkampf über weite Strecken beleidigt, weil alle Welt nur über die
Piraten sprach. Das Wahlergebnis beweist jedoch, dass die Partei sich
längst auf jene „Seniorgrünen“ verlassen kann, die sich wie ihre
Partei etabliert haben und sich dennoch um das Morgen sorgen. Noch
ist Rot-Grün auch in NRW allein mehrheitsfähig, obwohl die Linke in
vier Parteien zersplittert ist, wenn auch die Linkspartei im Westen
abzusterben scheint. Dies ist viel der Persönlichkeit Krafts
geschuldet. Auch links der Mitte gilt deshalb: Es war eine
Landtagswahl, für die Bundestagswahl gibt das Düsseldorfer Ergebnis
allenfalls indirekte Hinweise. Christian Lindner hat sein Wahlziel
übertroffen. Er hat nicht nur die NRW-FDP vorübergehend gerettet,
sondern auch sich selbst wieder für höchste Ämter in der Bundespartei
positioniert. Rhetorisch beschlagen, programmatisch klar und seriös.
Das kannte man von der FDP gar nicht mehr, und so konnte Lindner
unter früheren Friedrich-Merz-Wählern wildern, die Röttgen nicht
wollten. So ist die Botschaft des Wahltages für die FDP, dass die
Stärke noch geliehen ist, durch überzeugende Oppositionsarbeit aber
in eigene Stärke umgewandelt werden kann. Schließlich: Joachim Paul
hat sein Wahlziel erreicht. Dass die Piraten in den Landtag des
bevölkerungsreichsten Bundeslandes einziehen, nehmen alle inzwischen
als Selbstverständlichkeit. Doch es bleibt eine Sensation, wie eine
Parteiattrappe unser Parteiensystem aufrollt. Eine, die die
Etablierten noch nachdenklicher als bisher machen sollte.

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