Rheinische Post: Großmacht ade

Kommentar Von Martin Kessler

Es ist noch gar nicht ganz so lange her, da
stellte Japan die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA in Frage.
Das Wachstum des Inselstaats kannte scheinbar keine Grenzen, der
Autobauer Toyota zog am US-Primus General Motors vorbei, das
Grundstück des Kaiserpalasts in Tokio war so viel wert wie der
gesamte Staat Kalifornien. Japan bescherte der Welt die
Null-Fehler-Produktion und das Kanban-System des optimalen
Fertigungsprozesses. Scharen von Managern pilgerten nach Japan. Das
Bild hatte in den vergangenen beiden Jahrzehnten starke Risse
bekommen. Japans Wirtschaft wuchs nicht mehr, die Regierung häufte
gigantische Schulden an, ohne die Lage zu wenden. Im Land machte sich
eine lähmende Sklerose breit. Und Toyota, Nippons Vorzeigekonzern,
wurde von einer beispiellosen Pannenserie heimgesucht, die den Mythos
der Null-Fehler-Produktion zerstörte. Auch der historische
Machtwechsel von den Liberaldemokraten, der ewigen Regierungspartei,
zur oppositionellen Demokratischen Partei änderte daran nicht all zu
viel. Wenigstens zeigten sich Andeutungen einer Erholung, und trotz
aller Stagnation erfreuten sich die Inselbewohner eines beispiellosen
wirtschaftlichen Wohlstands. In diese Hoffnung platzt nun das
schlimmste Erdbeben in der Geschichte des Landes und verwüstet die
Wirtschaft. Noch schlimmer: die drohende Atomkatastrophe zerstört
noch viel stärker als die Toyota-Pannen den Nimbus der unfehlbaren
Technologie-Nation. Zum wirtschaftlichen Desaster kommt der
psychologische Tiefschlag. Das Schicksal der drittgrößten
Volkswirtschaft der Welt kann uns Deutschen nicht egal sein. Zu eng
sind wir mit dem Land wirtschaftlich verwoben. Das zeigt nicht
zuletzt die große Gemeinde der Japaner in Düsseldorf. Und täuschen
wir uns nicht. Dank der guten Ausbildung der Bewohner, dank ihres
Fleißes, Perfektionsdrangs und Wiederaufbauwillens wird das Land
wieder auf die Beine kommen. Auch wenn das Zeit braucht. Wir sollten
unserem Verbündeten und Freund Japan dabei helfen.

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