Rheinische Post: Nicht nur Schavan, auch die Uni muss sich prüfen

Rücktritte haben in der Politik normalerweise
eine kathartische Wirkung. Sie reinigen das aufgeheizte Klima aus
Schuldzuweisungen, Mediengetöse und neuerdings dem Brodeln im
digitalen Unterleib der Gesellschaft. So war es bei Guttenberg,
Wulff, Jung, Röttgen oder wie immer die gefallenen Helden ihrer
jeweiligen Tragödie hießen. Der erwartete mögliche Amtsverzicht von
Bundesbildungsministerin Annette Schavan wird eine solche Wirkung
nicht entfalten. Er dürfte bei vielen den bitter-galligen Geschmack
des Missvergnügens hinterlassen. Denn Schavans Fall liegt anders. Der
Anlass der Vorwürfe gegen sie ist 33 Jahre alt, sie wirken auch
deshalb auf viele außerhalb akademischer Mauern abseitig. Die längste
Verjährungsfrist liegt in unserem Rechtssystem bei 30 Jahren. Ein
Plagiat – wenn es denn bei Schavan justiziabel eines war – verzeiht
dieses System nicht. Dem Wissenschaftsrecht, hinter dem sich die
anklagende Universität Düsseldorf verschanzt, ist Genüge getan. Es
mutet jedoch ähnlich weltfremd an wie manches im universitären
System. Berücksichtigt es doch anders als Strafrecht und Zivilrecht
nicht die sonstigen Umstände, wie etwa Reputation und Lebensleistung
der Angeklagten. Dennoch hätte die Universität, glauben selbst
Düsseldorfer Gelehrte, einen anderen Weg finden können als das
Aussprechen der Höchststrafe. So rügte etwa die Uni Potsdam die
Dissertation des niedersächsischen Kultusministers Althusmann wegen
formaler Mängel, ließ ihm aber den Titel und damit indirekt das
Ministeramt. Neben die wissenschaftsethische Dimension trat im Falle
Schavans das überforderte Agieren der Düsseldorfer Hochschule: Der
Sachstandsbericht der Philosophischen Fakultät, der zu allem Unglück
auch noch bekannt wurde, war kein solcher, sondern ein Vor-Urteil,
hinter dessen Fazit „leitende Täuschungsabsicht“ die Universität nie
mehr zurückfand. Dermaßen in die Ecke gedrängt, kalkulierte die
Fakultät mit dem geringstmöglichen Schaden für sich selbst durch
größtmöglichen Schaden für Schavan: Durch die Diskussion über die
politische Zukunft der Ministerin tritt die Rolle der Uni in den
Hintergrund. Hoffentlich wird die wissenschaftliche Gemeinschaft
wenigstens über Mindestanforderungen an ihre Promotionsverfahren und
deren nachträgliche Prüfung diskutieren. Dazu gehören Zweitgutachten
oder Anhörungen, bei denen auch Schavans Doktorvater die Gelegenheit
zur Stellungnahme hätte bekommen müssen. Dann hätte diese Affäre
wenigstens ein Gutes.

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