Rheinische Post: Propaganda-Sieg der Taliban Kommentar Von Helmut Michelis

Der angebliche Auftakt der Frühjahrsoffensive
der Taliban ist allein ein psychologischer Erfolg. Unter den Opfern
in Kabul sind offenbar mehrheitlich die Angreifer selbst gewesen;
auch der Angriff auf die deutsche Botschaft richtete zum Glück nur
geringen Schaden an. Dabei war sie von den Taliban sogar zu einem
Hauptziel erklärt worden. Den weitgehend glimpflichen Ausgang der
Attacken könnte man also sogar zu einer Niederlage der Taliban
umdeuten: Offenbar fruchten die internationalen Anstrengungen, die
afghanischen Sicherheitskräfte für die Übergabe der Verantwortung im
Abzugsjahr 2014 zu stärken. Auch stellt es keine große Leistung dar,
als Terrorist in einer unübersichtlichen Millionenstadt wie Kabul
plötzlich irgendwo zuzuschlagen. Aber wer will das im Westen schon
hören? Schließlich will man nur raus aus diesem schwer verständlichen
Land mit unheimlichen Nachbarn. Die westliche Reaktion, ausgerechnet
anlässlich von Taliban-Attacken nach Verhandlungen zu rufen, wird von
den Islamisten vermutlich als weiterer Beweis von Schwäche
interpretiert. Natürlich sind Friedensgespräche erstrebenswert. Aber
vermag sich der Westen in die Denkweise jener kompromissunfähigen
Religionskrieger hineinzuversetzen? Findet er überhaupt deren
wirkliche Führer? Die Hoffnung ist gering. Und fixiert auf 2014 läuft
dem Westen unerbittlich die Zeit davon.

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