Rheinische Post: Russische Justiz-Willkür = Von Helmut Michelis

Es hat traurige Tradition in Russland,
politische Gegner mit Hilfe der Justiz auszuschalten oder zumindest
zeitweise mundtot zu machen. So ist es überzogen, die jüngste
Verurteilung eines Oppositionspolitikers in Moskau zu acht Wochen
Hausarrest und Informationssperre als Zeichen wachsender Schwäche des
Präsidenten Wladimir Putin zu interpretieren. Doch der Ultralinke
Sergej Udalzow hat bewiesen, dass er den Kreml-Mächtigen gefährlich
werden kann: Er ist einer der Köpfe der Protestbewegung gegen Putin,
die 2012 bis zu hunderttausend Menschen in Demonstrationen vereinte.
Der Arrest könnte deshalb erst der Anfang sein: Gegen Udalzow läuft
ein Verfahren wegen „gewaltsamen Umsturzversuchs“ – gemeint sind jene
Massenproteste. Ihm drohen deshalb bis zu zehn Jahre Haft. Das
Unterdrückungssystem via Polizei und Justiz, das zeigt, wie weit
Russland noch von echter Demokratie entfernt ist, könnte aber an
seine Grenzen stoßen: Trotz aller Repressalien schließen sich immer
mehr enttäuschte Russen den Protesten an. Der jüngste Willkürakt
könnte sie erst recht motivieren.

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