Rheinische Post: Vergebliche Kehrtwende

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den drohenden
größten anzunehmenden Unfall für ihre Koalition, nämlich den Verlust
der Mehrheit in Baden-Württemberg, durch eine atemberaubende
Kehrtwende in der Atompolitik zu verhindern versucht. Viele der
ältesten deutschen Reaktoren werden nicht nur vorübergehend
abgeschaltet, sondern voraussichtlich für immer vom Netz gehen. Dabei
ist es erst vier Monate her, dass Union und FDP gegen heftige
Widerstände die Verlängerung der Laufzeiten für eben diese Meiler
durchgeboxt hatten. Merkel hat den Bogen von Japan nach Deutschland
weit gespannt – für viele wohl zu weit. Selbst Atomkraftgegner können
nicht verstehen, warum deutsche AKW abgeschaltet werden, weil in
Japan die Erde gebebt hat. Die Kehrtwende vermittelt eher den
Eindruck, die deutschen Atomkraftwerke seien eben wie alle anderen
einfach doch nicht sicher. Viele Wähler im Ländle werden die
schwarz-gelbe Volte als opportunistisch empfinden – und der Koalition
wie die Opposition gestern im Bundestag ein wahltaktisches Manöver
unterstellen. Hinzu kommt, dass Merkel auch aus den eigenen Reihen
nun kräftiger Wind entgegenbläst: Weil sie das Parlament umgangen hat
und weil die Mehrheit der Koalitionsabgeordneten immer noch für die
Kernkraft ist. Merkels Rechnung wird also kaum aufgehen.

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