Zum Jahrestag des Mordes an der russischen
Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Natalija Estemirowa am 15.
Juli 2010 mahnt Reporter ohne Grenzen (ROG) intensivere Ermittlungen
zur Aufklärung des Verbrechens an. Da der Jahrestag mit den
deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Jekaterinenburg
zusammenfällt, fordert ROG den russischen Präsidenten Dmitrij
Medwedjew und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich dafür
einzusetzen.
„Wir sehen kein Ende des Klimas der Straflosigkeit in der
Russischen Förderation“, sagte der ROG-Geschäftsführer Christian
Rickerts. „Gewalttaten wie der Mord an Estemirowa bleiben für die
Täter ohne Folgen, obwohl Präsident Dmitrij Medwedjew bei den
Regierungskonsultationen in München im vergangenen Jahr eine schnelle
und lückenlose Aufklärung zugesagt hat.“
Natalija Estemirowa wurde am Morgen des 15. Juli 2009 in der Nähe
ihres Hauses in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt und
noch am gleichen Tag in der benachbarten Republik Inguschetien
erschossen aufgefunden. Die 51-Jährige leitete das Büro der
russischen Menschenrechtsorganisation MEMORIAL in Grosny und hatte
früher als Journalistin für die unabhängige russische Zeitung „Nowaja
Gaseta“ gearbeitet.
Nach dem Mord hat ROG in mehreren Appellen an die russische
Regierung vor einem Klima der Straflosigkeit und der Angst in
Russland gewarnt. „Das Versprechen, diesen Mord aufzuklären, ist
bislang ein Lippenbekenntnis geblieben“, kritisiert ROG. Bisher haben
die Behörden bei ihren Ermittlungen noch keinen einzigen Verdächtigen
identifiziert, Schlüsselfragen wurden nicht beantwortet.
ROG fordert die Behörden auf, bei ihren Untersuchungen mögliche
Zusammenhänge zwischen dem Mord und der Menschenrechtsarbeit von
Estemirowa nicht außer Acht zu lassen. Dazu gehört auch die
Möglichkeit, dass Vertreter der Bezirksabteilung für innere
Angelegenheiten (Raionny Otdel Vnutrennikh Del) des tschetschenischen
Bezirks Kurtschaloj in die Tat involviert sein könnten.
Estemirowa hatte kurz vor ihrem Tod die Behörde für eine
außergerichtliche Exekution mitverantwortlich gemacht. ROG
befürchtet, dass die Ermittlungen bald eingestellt werden könnten.
Russischen Medienberichten zufolge könnte die Polizei Alchasur
Baschajew, einem Werbeoffizier der tschetschenischen Rebellen, die
Verantwortung für den Mord zuschreiben. Baschajew wurde im November
2009 erschossen.
Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow erschwert zudem die
ernsthafte Aufklärung. Statt sich für bedrohte Journalisten und
Menschenrechtler einzusetzen, hat Kadyrow Estemirowa und andere
Bürgerrechtler wiederholt verunglimpft und verbal attackiert. Erst
kürzlich hat Kadyrow Mitarbeiter von MEMORIAL im lokalen Fernsehen
als „Feinde“ beschimpft.
„Seit den letzten deutsch-russischen Regierungskonsultationen hat
sich die schwierige Situation der russischen Medienschaffenden nicht
verändert“, so Rickerts. ROG ist derzeit mit dem Vorstandsmitglied
Gemma Pörzgen am „Petersburger Dialog“ in Jekaterinenburg beteiligt,
einem Diskussionsforum, das die Verständigung zwischen den
Zivilgesellschaften beider Länder fördern soll und den
deutsch-russischen Regierungskonsultationen vorangeht.
In der Russischen Föderation sind seit dem Jahr 2000 mindestens 24
Journalisten ermordet worden, allein 2009 dokumentierte ROG fünf
Todesfälle.
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