Die aufgeregte Debatte um einen Maulkorb für
Abgeordnete ist nicht dem Thema, sondern eher dem Zeitgeist zu
verdanken. In einer Zeit, in der mehr Transparenz in der Politik das
Schlagwort ist, darf man nicht den Zipfel des Verdachts liefern, dass
das Rederecht im Bundestag für unbequeme Meinungen eingeschränkt
werden soll. Davor hat der SPD-Politiker Peer Steinbrück gewarnt.
Mehr als ein Zipfel des Verdachts wird jedoch nicht geliefert.
Denn es wird nichts eingeschränkt, sondern im Gegenteil sogar neu
geschaffen. Das ist Bundestagspräsident Norbert Lammert zu verdanken.
Der hatte in der wichtigen Euro-Debatte überraschend Abweichlern die
Möglichkeit zum Reden eingeräumt – das war von der Geschäftsordnung
her fraglich, angesichts der historischen Debatte aber
nachvollziehbar. Was Lammert damals etwas alleinherrlich entschied,
wird jetzt per Neuregelung festgeklopft. Abweichler sollen reden
können, wenn auch nur drei Minuten.
Wer da von Maulkorb spricht, kann allenfalls den Vorgang meinen,
dass der Parlamentspräsident vorher den Fraktionsspitzen die
Abweichler in einem komplizierten Verfahren nennen soll. Hier kommt
es darauf an, ob er sie nur informieren muss, was richtig wäre, oder
ob die Fraktionsspitzen mitreden können. Das wäre dann in der Tat
eine Kontrolle, die nicht sein darf.
Dass aber in der Regel die Fraktionen im Bundestag vor den
jeweiligen Debatten die Redezeit zu einzelnen Punkten festlegen und
dann genau aufteilen, hat sich bewährt. Denn wer wollte schon
Debatten zuhören, bei denen Hunderte Abgeordnete zum gleichen Thema
reden? Meist sind fünf pro Fraktion schon ermüdend genug. Oft genug
ist im Bundestag schon alles gesagt, nur nicht von allen. Wer eine
lebendige Demokratie mit einer spannenden Debattenkultur will, kann
nicht im Ernst von Maulkorb reden, wenn die Fraktionen für einen
guten und interessanten Ablauf sorgen.
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