Schwäbische Zeitung: Ein Gewinner sieht anders aus – Leitartikel

Die Reaktion des bayerischen
Ministerpräsidenten hat etwas Entlarvendes. Horst Seehofer sieht
gleich zwei mögliche Gewinner des Wiederaufnahmeverfahrens gegen
Gustl Mollath: „Das eine ist ein fairer Rechtsstaat, das andere ist
die Person Gustl Mollath.“ Kurz vor der Landtagswahl setzt der
CSU-Politiker also auf Friede, Freude, Eierkuchen. Seehofer geht
schon mal davon aus, dass beim neuen Anlauf ein Freispruch rauskommt
– und dann ist ja alles wieder gut. Er hat sich schließlich
persönlich eingesetzt, seine Justizministerin ebenfalls.
Wiederaufnahmeverfahren mit Freispruch dank christsozialen
Engagements: Das ist die angedeutete Botschaft an die geneigten
Wählerinnen und Wähler.

Sie ist ein wenig plump, diese Botschaft. Und Horst Seehofer
täuscht sich doppelt. Erstens: Für Gustl Mollath muss es wie Hohn
klingen, dass er Gewinner des Verfahrens sein könnte. Falls der Mann
freigesprochen wird, hat er sieben Jahre seines Lebens zu Unrecht in
der forensischen Psychiatrie verbracht. Kann man so jemanden zum
Gewinner deklarieren? Sollten die Gutachter aber zum selben Ergebnis
kommen wie bisher und ihm eine Gemeingefährlichkeit attestieren,
würde Mollath endgültig zur tragischen Figur. Ganz ausgeschlossen ist
diese Variante immerhin nicht.

Zweitens: Das Bild vom „fairen Rechtsstaat“, den Seehofer
ebenfalls als Sieger sieht, hat tiefe Kratzer bekommen – unabhängig
vom weiteren Gang der Dinge. Es ist äußerst ungewöhnlich, dass
hochrangige Juristen wie der Generalbundesanwalt beißende Kritik
äußern an der eigenen Zunft. Und es ist für die Akzeptanz des
Rechtsstaats äußerst ungut, wenn richterliche Entscheidungen sowohl
von Fachleuten als auch von Laien mit Kopfschütteln quittiert werden.
Bei allem Vertrauensvorschuss, den die deutsche Justiz zum Glück noch
immer genießt: Der Fall Mollath wird nicht als richterliche Glanztat
in die Rechtsgeschichte eingehen. Unabhängig von seinem Ausgang
bleibt jetzt schon festzuhalten: Dieses Wiederaufnahmeverfahren kommt
viel zu spät.

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