Schwäbische Zeitung: Erbärmlicher Zustand – Leitartikel

Die Koalition stand vor dem offenen Bruch und
die international auf dem Zenit stehende Kanzlerin ist innenpolitisch
geschwächt. Die überparteiliche Suche nach dem Besten für das oberste
Staatsamt wurde zur eiskalten Pokerpartie um Macht, zu einer
Niederlage für Angela Merkel und zum Beleg der Erosion ihrer
Regierung.

FDP-Chef Philipp Rösler bewies plötzlich Härte und düpierte seine
Chefin Merkel. Berliner Insider beschrieben den Gefühlszustand der
Kanzlerin mit den Worten „stinksauer“ und dürften bei dieser Wortwahl
untertrieben haben. Rösler hat ohne Rücksicht auf Verluste die
Präsidentenfrage dazu genutzt, seiner ums Überleben kämpfenden,
derzeitigen Drei-Prozent-Partei wieder etwas mehr Bedeutung zu
verleihen. Ob die Rechnung aufgeht, sich wieder über den
Präsidenten-Kandidaten Gauck in die Herzen der Wähler zu schleichen,
darf bezweifelt werden. Denn dazu ist der Zustand der schwarz-gelben
Koalition zu erbärmlich.

Merkel kann aufgrund der politischen Lage im In- und Ausland kein
Interesse an einem Koalitionsbruch haben. Deshalb musste sie sich den
Liberalen beugen, nicht aus Klugheit, sondern aus Schwäche. Wenn der
Merkel-Getreue Peter Altmaier Reportern in die Notizblöcke diktiert,
dass die Entscheidung pro Gauck kein Signal für das
Auseinanderdriften der Koalition sei, mag das oberflächlich
betrachtet stimmen. Tatsächlich zeigt es sich überdeutlich, dass es
kaum noch einen Kitt gibt, der Union und FDP zusammenhält. Es sei
denn – Macht. SPD und Grüne hatten Mühe, nicht allzu laut zu
triumphieren, sondern staatsmännisch in die Kameras zu blicken.

Wenn die Präsidentschaft Christian Wulffs ein Missverständnis war,
dann muss gefragt werden, ob die vermeintliche Liebesheirat von Union
und FDP nicht ein Riesen-Missverständnis ist. Beide Parteien oder
auch die Minister haben nie zusammengefunden und werden das auch bis
zur nächsten Bundestagswahl nicht tun. Das gilt für das menschliche
Miteinander wie für politische Positionen.

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