Schwäbische Zeitung: Kraft bringt Merkel in Not – Leitartikel

Es ist die sozialdemokratische Rolle rückwärts.
Weg von Gerhard Schröder und der Agenda 2010, hin zu Johannes Rau und
damit hin zum Wohlfühlen, Umsorgen, ja keinen Streit anzetteln.

Hohe Schulden trotz Rekordsteuereinnahmen, klamme Kommunen und
eine schwer identifizierbare Wirtschaftspolitik waren keine Themen
beim Wahlkampf im Industriestandort Nordrhein-Westfalen. NRW hat am
Muttertag die Landesmutter Hannelore Kraft gewählt und gezeigt, dass
auch Deutschland in Zeiten der Euro-Schuldenkrise nicht zwingend
sparen möchte.

Düsseldorf war in der bundesdeutschen Geschichte häufig
Schrittmacher. Am Rhein wurden erstmals sozialliberale Bündnisse
geschmiedet, dann Rot-Grün etabliert und mit der SPD-Niederlage 2005
wurde die Kanzlerschaft von Angela Merkel eingeläutet, die für
Haushaltsdisziplin steht.

Jetzt siegte eine SPD-Kandidatin haushoch, die Probleme
professionell weglächelt und damit bei den Menschen sehr gut ankommt.
Die SPD zelebrierte Kraft, ihre Minister spielten noch nicht einmal
Nebenrollen. Kraft hielt dafür das alte gewerkschaftsnahe
„Wir-Gefühl“ aus den 1980er-Jahren hoch und wird damit zu einer
ernstzunehmenden Gegenspielerin der nüchtern auftretenden Angela
Merkel.

Norbert Röttgen steht hingegen vor dem politischen Aus. Er hat
einen stümperhaften Wahlkampf zu verantworten und das schlechteste
Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik für die CDU eingefahren.
Mit welcher politischen Autorität will er nach seinem Rücktritt in
Düsseldorf noch in Berlin auftreten? Sein Glück könnte darin
bestehen, dass Merkel ungern ihre Regierungsmannschaft umbildet.

Für den FDP-Spitzenmann Christian Lindner war dies eine
Traumausgangslage. Ihm gelang es so doch recht einfach, seine
gebeutelte Partei wieder in das Landesparlament zu führen. Lindner
bezeichnet sich gerne als „parlamentarischen Kampfsportler“. Die
Auseinandersetzung mit Rot-Grün sei in diesem Zusammenhang für ihn
eine „Delikatesse“. Widerspruch fällt schwer.

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