Schwäbische Zeitung: London schädigt die EU – Leitartikel

Volker Kauder hat die Glut noch einmal richtig
angefacht. Der CDU/CSU-Fraktionschef verkündete letzte Woche, in
Europa werde nun Deutsch gesprochen. Die britischen Medien griffen
den wenig intelligenten Spruch dankbar auf. Für sie tauchte wieder
der welterobernde Deutsche auf. Hierzulande schlug die
Boulevardpresse zurück. Nun kommen solche britisch-deutschen
Kleinkriege von Zeit zu Zeit vor – meist in Verbindung mit
Fußball-Länderspielen. Momentan spielt sich der Konflikt jedoch auf
EU-Ebene ab. Dort hat die Streiterei eine andere Wertigkeit. Sie
macht die Zerrissenheit der Union deutlich.

Großbritannien glaubt, grundsätzlich andere Interessen zu haben
als der Rest der Mitglieder. Neu ist dies nicht. Zum jetzigen
Zeitpunkt können die britischen Befindlichkeiten aber fatale Folgen
für die EU haben. Die Euro-Krise belastet die Union extrem.
Sonderwege haben hier keinen Platz mehr. Klar, die Briten wollen
ihren Finanzplatz London vor der Finanztransaktionssteuer schützen,
die wiederum Kanzlerin Merkel forciert. Ein gewisses Verständnis
dafür mag angehen, weil das Geldgeschäft als einziger wichtiger
Wirtschaftszweig auf der Insel noch gut funktioniert. Trotzdem wäre
es richtig, den Handel der Finanzjongleure zu besteuern – nicht nur,
weil ihnen Grenzen guttäten, sondern ebenso aus Gerechtigkeit. Andere
Geschäfte werden schließlich auch besteuert.

Ein weiterer Vorstoß Merkels tangiert die Briten zwar nicht
direkt. Sie sind kein Mitglied des Euro-Raums. Eine Verschärfung der
Stabilitätskriterien könnte London also gelassen sehen. Da aber
hierzu eine Änderung der EU-Verträge nötig wäre, will Premier Cameron
nur zustimmen, wenn Zuständigkeiten aus Brüssel zurück in die
Nationalstaaten verlagert werden. So unterminiert er die Union.
Letztlich ist unklar, ob die Briten überhaupt Mitglied bleiben
wollen. Vielleicht ist es an der Zeit, ihnen die Gretchenfrage zu
stellen. Die EU kann dies wagen. Sie kommt ohne Großbritannien
zurecht, die Insel jedoch nicht ohne die EU, ihren wichtigsten
Handelspartner.

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