Schwäbische Zeitung: Präsident Gauck: Glanz statt Glamour – Leitartikel

Brauchen wir überhaupt einen Bundespräsidenten?
Als Joachim Gauck vor einem Jahr gewählt wurde, zweifelten viele
Deutsche schon am Nutzen dieses Amtes – Horst Köhlers Sponti-Rückzug,
Christian Wulffs unrühmlicher Abgang hatten Spuren hinterlassen. Und
vielleicht wird dies einmal Gaucks größtes Verdienst sein, dass er
dem Amt seine Würde zurückgab.

Gauck ist auf ganz selbstverständliche Weise klug und mitfühlend,
er mischt sich ein, und die Deutschen schätzen ihn. Sicher, manche
hatten sich mehr erhofft. Vor allem mehr unbequeme Mahnungen des
früheren Bürgerrechtlers Gauck. Doch der lässt sich nicht drängen. Er
füllt sein Amt ganz natürlich aus. Immer noch und immer wieder stellt
er die Freiheit als sein Lebensthema über alles.

Vor einem Monat versuchte der 73-jährige mit einer großen Rede zum
Thema Europa Gehör zu finden. Hier, wie überall, ist seine Botschaft:
Seid nicht gleichgültig, seid nicht bequem. Gauck, selbst parteilos,
ist ein großer Freund der Parteiendemokratie. Er verbündet sich nicht
mit den Menschen gegen die Parteien, wie es Vorgänger Horst Köhler
einmal tat, sondern er will eine Mitmachgesellschaft, er will Bürger,
die zupacken. Er will die Kluft zwischen Politik und Bürgern
verringern – ein hoher Anspruch.

Joachim Gauck war in seinem früheren Leben Pfarrer, er kann
predigen, und manches Mal ist er von seinen eigenen Worten etwas zu
begeistert. Ein paar Mal ist er auch schon angeeckt. Zum Beispiel,
als er jüngst im Fall Brüderle einen zu großen „Tugendfuror“
beanstandete. Doch er hat sich bei allem den nötigen Schuss
Selbstkritik bewahrt, vor allem aber den feinen Humor, den Schlüssel
zu mehr Menschlichkeit.

Gauck ist ein grundsolider Bundespräsident mit einer wohltuenden
Ausstrahlung. In Zeiten einer schweren Europa-Krise ist er mit seiner
Gelassenheit und seiner Zuversicht der richtige Mann an der Spitze
des Staates. Glanz statt Glamour – so titelte eine Zeitung über die
Frau an seiner Seite, Daniela Schadt. Glanz statt Glamour – das gilt
auch für Gauck selbst.

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