Schwäbische Zeitung: Reichlich Anlass zur Buße – Leitartikel

Nach der Tradition ist der Aschermittwoch der
Tag der Buße und der unverblümten Abrechnung mit den Mächtigen.
Selten nur gab es dazu so viel Anlass wie in diesem Jahr, das mit
unsäglichem Hader um das höchste Amt im Staat beginnt und schnell zur
Stunde der Scheinheiligen geworden ist.

Es ist viel passiert in den vergangenen zwölf Monaten. Die CSU
musste erleben, wie ihr Senkrechtstarter Karl-Theodor zu Guttenberg
mit einem Mal als Lügenbaron dastand. Das war kein Beispiel für Buße,
die im christlichen Verständnis der tätigen Reue bedarf. So wie eine
Beichte nicht viel gilt, wenn ein Sünder nur offenbart, was der
Pfarrer (und der liebe Gott) ohnehin schon weiß. Nach dem Beispiel
des Freiherrn hielt es bald darauf auch unser
Kurzzeit-Bundespräsident. Ein Sinnspruch könnte passen: Sage mir, mit
wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. Die Kanzlerin hat all
dem lange zugesehen. Mit christlicher Nächstenliebe vielleicht, und
lange ganz ohne alttestamentarischen Zorn.

Das Nehmen scheint da oft seliger als das Geben. Womit wir bei
Tobias sind, der da sagt: „Hast du viel, so gib reichlich; hast du
wenig, so gib doch das Wenige von Herzen.“ Das mag auch den Pastor
Gauck bewegen, wenn ihm nicht wenige bei der kommenden
Präsidenten-Wahl ein Ja-Wort geben, das womöglich nicht von Herzen
kommt, sondern auf höhere Weisung. Und vielleicht auch aus der
Einsicht, dass das Volk die Faxen allmählich dick hat. So wie Jesus
Christus der Sünderin verziehen hat, werden Barmherzige dem neuen
Staatsoberhaupt womöglich auch das Scheitern seiner ersten Ehe
verzeihen – wie sie bei Christian Wulff auch diesbezüglich fast zwei
Jahre lang ein Auge zugedrückt haben.

Den politischen Fastenpredigern sei denn auch ein weiterer
Bibelspruch (Sprüche 24, 17-18) anempfohlen: „Freue dich nicht über
den Fall deines Feindes, und dein Herz sei nicht froh über sein
Unglück. Der Herr könnte es sehen und Missfallen daran haben und
seinen Zorn von ihm wenden.“

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