Dass Menschen im Nachkriegsdeutschland die
politische Partei verlassen, der sie Jahrzehnte angehört haben, kommt
nicht allzu häufig vor. Noch seltener sind Ausschlussverfahren.
Dennoch: Sowohl Parteiaustritte als auch Parteiausschlüsse sind per
se keine Abstrusitäten. Menschen verändern mit der Zeit ihr
politisches Weltbild, Parteien entwickeln sich weiter – und eines
Tages passt die Partei nicht mehr zum Mitglied oder umgekehrt. Man
kann darin sogar einen demokratischen Prozess erkennen.
Der Fall des CDU-Bundestagsabgeordneten Siegfried Kauder aus
Villingen-Schwenningen liegt anders. Vordergründig hadert er nach 45
Jahren Zugehörigkeit mit seiner Partei, weil die ihn nicht mehr als
Wahlkreiskandidaten nominiert hat. Vordergründig geht es ihm also um
Machterhalt, wenn er als Einzelkämpfer gegen den von der CDU
nominierten Thorsten Frei antritt. Vordergründig ist die Konsequenz
völlig klar und logisch: Verlässt Siegfried Kauder die
Christdemokraten nicht freiwillig, so muss er ausgeschlossen werden.
Aber das ist nur die Fassade. Dahinter steht eine Geschichte mit
tragischen Zügen. Klaus Panther, Ehrenvorsitzender der Kreis-CDU in
Villingen-Schwenningen, sagt: „Wir sind nicht mehr an ihn
rangekommen, auch sein Bruder nicht.“ Der Bruder, das ist der
mächtige Fraktionschef der Union im Bundestag, Volker Kauder. Niemand
ist also mehr an Siegfried Kauder rangekommen. Weggefährten sagen,
seine Persönlichkeit habe sich in den vergangenen Jahren verändert,
er sei nicht mehr der Mensch, der er früher war. Falls das zutreffen
sollte – und alles spricht dafür – so hat sich nicht das politische
Weltbild des 61-Jährigen gewandelt, sondern sein Wesen. Und dann ist
es fraglich, ob ein Parteiausschluss die adäquate Reaktion ist.
Dass der Politikbetrieb wenig Sentimentalitäten kennt, ist
hinlänglich bekannt. In diesem Fall kollidiert die Parteiräson sogar
mit einer familiären Problematik. Eine gedeihliche Lösung des
Konflikts ist nicht erkennbar. Aber es steckt etwas Erbarmungsloses
in ihm.
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