Warum hat es wohl so lange gedauert, bis ein
Ministerpräsident aus Baden-Württemberg sich in offizieller Mission
von Stuttgart nach Ankara bemüht? Natürlich war es in den Siebziger-
und Achtziger-Jahren nicht immer opportun für einen deutschen
Politiker an den Bosporus zu reisen. Doch die düsteren Tage, in denen
die Militärs das Sagen hatten oder die rechtsextremen Grauen Wölfe
den Staat unterwanderten, sind zum Glück vorbei. Wie gut also, dass
Winfried Kretschmann gestern nach Ankara gereist ist, mit einer
großen Delegation aus Geschäftsleuten, Politikern und
Wissenschaftlern. Die Türkei ist für Baden-Württemberg enorm wichtig,
Hunderttausende Türken leben hier, die familiären und
wirtschaftlichen Bande sind eng. Der gemäßigte Islamist,
Ministerpräsident Recep Erdogan, hat die Türkei, gemeinsam mit
Präsident Abdullah Gül, zu einem – in Teilen – modernen Staat
umgestaltet. Das Land ist der wirtschaftliche Motor in der Region, es
hat in den vergangenen Jahren immer mehr Einfluss in der arabischen
und islamischen Welt gewonnen. So mächtig wurde die Türkei, dass
manche in der Nachbarschaft schon fürchten, da würden im 21.
Jahrhundert die Großmachtträume von einem osmanischen Reich
wiederauferstehen. Der sechstägige Besuch des Ministerpräsidenten aus
Stuttgart hat auch politische Bedeutung. Weniger wegen Kretschmanns
Einsatz für eine Aufnahme der Türkei in die EU. So wichtig wie noch
vor einigen Jahren ist das den Türken nämlich längst nicht mehr.
Kretschmanns Eintreten für diese Idee wirkt auch darum etwas
antiquiert, weil selbst türkische Kritiker sehr gut begründen, warum
ihr Land eben nicht in die EU passt. Und den wirtschaftlichen
Austausch mit der Türkei gibt es längst, am visafreien Reiseverkehr
wird gearbeitet. Nein, politisch wichtig ist der Besuch für die
Türken, weil dieser baden-württembergische Ministerpräsident, der
auch Präsident des deutschen Bundesrates ist, dem Nato-Partner Türkei
durch seine Anwesenheit den Rücken stärkt im Konflikt mit Syrien und
Russland.
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