[Dresden, 25. Juli 2010] Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat mit seiner jüngsten Forderung nach einem freiwilligen Fahrtüchtigkeitstest für ältere Autofahrer die Diskussion über Senioren wieder entfacht. Sie hätten, begründet der CSU-Minister seinen Vorstoß, aufgrund ihrer „physischen Konstitution“ ein höheres Unfallrisiko als jüngere Verkehrsteilnehmer. Stellen Senioren eine Gefahr dar? Der Verkehrswissenschaftler Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus O. Rompe von der Gesellschaft für Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen (GUVU) und Vorsitzende des Technischen Beirats der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH mit Sitz in Dresden, verneint diese Frage. Vielmehr kritisiert er, dass in der Öffentlichkeit pauschal der Eindruck erweckt werde, Unfälle könnten vermieden werden, indem Senioren den Führerschein abgäben.
Der Bevölkerungsanteil der Menschen über 65 Jahren betrug 2009 20 Prozent, ihr Anteil an den Getöteten im Straßenverkehr lag bei 27 Prozent. Das liegt aber nicht daran, dass sie mehr Unfälle verursachen, sondern an ihrer höheren Verletzbarkeit. Unter den getöteten Radfahrern und Fußgängern ist sogar mehr als jeder zweite ein Senior – unabhängig von der Schuldfrage sind Senioren im Straßenverkehr also einem höheren Risiko ausgesetzt. Das ist das Problem.
Die jährlich gefahrenen Autokilometer als Bezugsgröße für das Unfallrisiko einer Altersgruppe heranzuziehen, führt nach Auffassung von Klaus Rompe „zu der sinnlosen Aussage“, dass ein Senior mit einem Unfall auf 1.000 gefahrenen Kilometern im Jahr ein größeres Risiko darstelle als ein jüngerer Fahrer mit zehn Unfällen auf 20.000 Kilometern. Wissenschaftliche Untersuchungen auch im Ausland haben nämlich ergeben, dass sich mit abnehmender jährlicher Fahrleistung das Unfallrisiko in allen Altersgruppen erhöht, so Rompe. Fahrfehler, Unfallursache und -typ seien vor allem an bestimmte Verkehrssituationen gebunden, nicht an Altersgruppen. Insofern lässt Rompe den Einwand nicht gelten, dass Senioren relativ viele Unfälle pro gefahrenen Kilometer verursachen. Zumal Senioren überdurchschnittlich im komplexen Innerortsverkehr unterwegs sind und weniger auf der Autobahn, wo die wenigsten Unfälle geschehen. Was demnach aus Sicht Rompes fehlt, sind Untersuchungen zur Spezifik von Stadt-, Land- und Autobahnunfällen, mit denen die Verkehrsaufklärung und technische Hilfsmittel verbessert werden könnten – verkürzte Schuldzuweisungen helfen da nicht.
Um ein klareres Bild von der Wirklichkeit zu bekommen, nimmt Rompe in seiner statistischen Betrachtung die Zahl der Führerscheinbesitzer als Richtgröße und kommt zum gegenteiligen Ergebnis wie der Bundesverkehrsminister: Bezogen auf eine Million Führerscheinbesitzer verursachen rund 2.100 Menschen zwischen 65 und 75 Jahren einen Unfall. Die jüngeren Altersgruppen weisen so gesehen deutlich mehr Unfallverursacher pro eine Million Führerscheininhaber auf. Die Konsequenz: „Wenn die Pkw-Führerscheinbesitzer aller Altersgruppen nur so viele Unfälle mit Personenschaden verursacht hätten wie die Altersgruppe der Senioren, hätte es etwa 78.000 Unfälle weniger gegeben“, rechnet der Wissenschaftler.
Senioren gleichen ihre altersgemäßen Einschränkungen in der Regel durch Erfahrung und vernünftiges Fahren aus: Sie rasen weniger, halten den Abstand besser ein und fahren insgesamt vorausschauender. Und sie vermeiden problematische Situationen, etwa schlechtes Wetter, Dunkelheit oder Hauptverkehrszeiten.
Kontrollmaßnahmen wie altersabhängige Pflichtuntersuchungen haben in anderen Ländern dazu geführt, dass insbesondere Seniorinnen diese Prüfungen scheuten und den Führerschein lieber auslaufen ließen. In der Folge mussten sie auf Fahrrad und den Weg zu Fuß zurückgreifen, was das Risiko zu verunglücken sogar noch deutlich erhöht – oder die älteren Menschen müssen sich in ihrer Mobilität einschränken, was aber nicht beabsichtigt sein kann. „Die Auto-Mobilität der Senioren“, stellt Rompe fest, „erhält ihre ,Beweglichkeit“ in allen Lebensbereichen und verzögert Hilfebedürftigkeit“. Das solle unterstützt und nicht beeinträchtigt werden.
Rompe hält statt dessen Maßnahmen für sinnvoll, die auf Senioren und ihren Bedarf abgestimmt sind. Ihre Schwächen liegen zum Beispiel beim Abbiegen und bei der Vorfahrt, sie haben eher mal Defizite in der Wahrnehmung in komplizierten Verkehrssituationen und in der Reaktion. Daher fordert Rompe Fahrerassistenzsysteme, etwa Navis mit Gefahrenhinweisen, Kreuzungs- und Spurwechselassistenten. Zum Ausgleich des nachlassenden Augenlichts wären adaptive Scheinwerfersysteme sowie Nachtsichtassistenten hilfreich. Und für die passive Sicherheit regt Rompe intelligente Insassenschutzsysteme an, etwa adaptive Airbags und Gurtkraftbegrenzer zum Schutz von Brust und Rippen, in deren Wirkungsweise das Gewicht und die Größe der betreffenden Person berücksichtigt werden – das sind gute Vorschläge, die sogar allen Verkehrsteilnehmern zugutekämen.
Es lässt sich festhalten: Aufklärung und technische Unterstützung sind realistischer und begründen mehr Verkehrssicherheit als staatliche Reglementierungen gegen einzelne Gruppen.