Südwest Presse: Kommentar zu E10

Autofahrer sind merkwürdige Wesen. Normalerweise
jammern sie über jeden Cent, um den Benzin teurer wird, und nehmen
erhebliche Umwege in Kauf, um ein wenig zu sparen. Nur derzeit geben
sie sich großzügig und tanken massenweise Super plus, obwohl das bis
zu acht Cent je Liter teurer ist als das „normale“ Super. Das trägt
neuerdings den Zusatz „E10“, weil zehn statt bisher fünf Prozent
Ethanol, also Bio-Alkohol, beigemischt ist. Dieses boykottieren sie
konsequent. Das klingt nur auf den ersten Blick irrational. Nach der
kurzzeitigen Verwirrung wäre es für die meisten Autobesitzer ein
Klacks gewesen, festzustellen, ob ihr Fahrzeug E10 verträgt. Im
Internet sind die Listen zu finden, in Tankstellen sollten sie
ausliegen, die Autohersteller haben Hotlines eingerichtet. Doch
offenbar trauen viele diesen Auskünften nicht. Es geistern
Schauergeschichten herum, dass Autos trotz der Freigabe durch die
Hersteller das neue Benzin nicht bekommt. Von Langzeitschäden ganz
abgesehen. Die Autohersteller geben jetzt zwar verbindliche
Garantien, aber es ist die Frage, wie viel sie wert sind. Denn es ist
schwer nachzuweisen, dass ein Schaden auf E10 zurückzuführen ist. In
so einer verfahrenen Situation war es sinnvoll, alle Beteiligten an
einen Tisch zu holen, auch wenn die Ergebnisse dünn sind. Ob es
gleich ein „E10-Gipfel“ sein musste, zu dem ihn Wirtschaftsminister
Rainer Brüderle ernannte, ist Geschmackssache. Blamabel ist das Ganze
insbesondere für Umweltminister Norbert Röttgen. Denn er ist
eigentlich für das Thema zuständig. Doch er hat verschlafen und sich
die Initiative von dem Liberalen aus der Hand nehmen lassen. Die
Einführung von E10 ist eine einzige Katastrophe, weil die
Beteiligten, insbesondere die Automobil- und die Mineralölindustrie,
nicht an einem Strang gezogen haben. Das zu koordinieren wäre
Röttgens Aufgabe gewesen, und er hätte vorgewarnt sein müssen.
Schließlich hatte bereits sein Vorgänger Sigmar Gabriel den Start vor
drei Jahren verschoben, weil über drei Millionen Autos E10 nicht
vertragen. Viel sinnvoller, als jetzt mehr Werbung für E10 zu machen,
wäre eine Atempause gewesen, um noch einmal gründlich über das ganze
Projekt nachzudenken. Denn es ist zwar dringend erforderlich, den
Ölverbrauch zu drosseln. Aber Ethanol muss keine sinnvolle
Alternative sein, auch wenn es aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen
wird. Derzeit werden dazu hauptsächlich Getreide und Zuckerrüben
verarbeitet. Die Kurzformel „Tank statt Teller“ mag polemisch sein.
Aber das ungute Gefühl, das viele beschleicht, ist nachvollziehbar.
Der Zusammenhang ist schwerlich zu leugnen: Auch wenn das hierzulande
dem Benzin beigemischte Ethanol aus Europa stammt, so steigt doch die
Nachfrage nach Getreide deutlich. Das ist ein Grund dafür, dass
weltweit die Preise etwa für Weizen explodieren. Für die deutschen
Landwirte mag das schön sein, denn sie profitieren von den
alternativen Abnehmern. Ob die Ökobilanz aber wirklich so positiv
ist, wie die Politik behauptet, ist zweifelhaft. Zumindest so lange,
wie es keine Biokraftstoffe der „zweiten Generation“ gibt, die aus
Abfällen produziert werden und nicht aus Lebensmitteln. Schuld an der
Misere ist nicht etwa die EU. Die hat zwar bis 2020 einen Anteil
erneuerbarer Energien am Straßenverkehr vorgeschrieben, aber nicht
den Weg dorthin. Letztlich sollte mit E10 Gas gegeben werden, weil es
die deutschen Fahrzeughersteller nicht schnell genug schaffen,
energiesparende Motoren und Autos zu bauen. Dazu gehören dann
allerdings auch die Käufer, die solche Autos nachfragen und nicht die
Benzinfresser. Welche Marktmacht die Verbraucher haben, zeigt ihr
Streik bei E10.

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218