Südwest Presse: Kommentar zum Papst-Rücktritt

Er ist müde geworden – gezeichnet vom Amt und vom
Alter. Die Last, eine Weltkirche mit 1,1 Milliarden Gläubigen zu
führen, ist ihm zu schwer geworden. Papst Benedikt XVI. tritt zurück.
Dieser Vorgang ist historisch. Noch gut ist das lange Leiden in
Erinnerung, das sein Vorgänger Johannes Paul II. vor den Augen der
Welt erduldet hat. Benedikt XVI. entscheidet anders. Er legt die
weltliche Verantwortung in neue Hände. Für den Mut, eigene Grenzen zu
erkennen, gebührt ihm Respekt. Es ist ein Schritt, der von großem
Verantwortungsbewusstsein zeugt. Als Papst des Übergangs war der
Deutsche vor acht Jahren angetreten. Nach seinem charismatischen,
aber mitunter auch chaotischen Vorgänger sollte er Struktur in die
kirchliche Verwaltung bringen und die Weltkirche in ruhigere
Fahrwasser führen. Der Wunsch ist nicht aufgegangen. Was bleibt von
diesem Pontifikat? Bücher. Denn Benedikt XVI. hat sich als Lehrer des
Glaubens hervorgetan. Mit seinen Büchern wollte er einer säkularen
Welt Jesus Christus und die zentralen Botschaften des Christentums
nahebringen. Vielleicht wird dieses Wirken in seiner Breite erst mit
Verzögerung verstanden werden. Bleiben werden aber auch die
Versäumnisse. Benedikt XVI. hat seine Kirche sehenden Auges in
stürmische See gelenkt. Durch Affären wie Vatileaks oder – Monate
vorher – die Rehabilitation des Holocaust-Leugners Williamson ist für
jeden sichtbar geworden, dass innerhalb des Vatikan
Interessensgruppen ein problematisches Eigenleben entwickelt haben.
Das ist nicht schön, aber verglichen mit anderem fast nachrangig.
Denn verhängnisvoller ist: Papst Benedikt XVI. gelang es nicht, die
katholische Kirche auf einen Kurs zu führen, der offen ist für die
Moderne. Statt mit Vertrauen nach vorne zu blicken – den
Zwangszölibat auf den Prüfstand zu stellen, zu seelsorgerischen
Reformen wie der Einbindung wiederverheirateter Geschiedener zu
ermutigen – suchte Benedikt das Heil der Kirche im Blick zurück.
Restauration statt Aufbruch. Mit Engelsgeduld wandte er sich der
Piusbruderschaft zu, während er den Kirchen der Reformation die kalte
Schulter zeigte. Auch das Verhältnis zum Judentum belastete er mit
der Wiederaufnahme der umstrittenen Karfreitagsfürbitte. Und die
Muslime? Dass die Regensburger Rede keine Eiszeit im
christlich-islamischen Dialog einleitete, ist der Besonnenheit
muslimischer Gelehrter zu verdanken. Benedikt XVI. übergibt seinem
Nachfolger eine schwere Last. Viele Chancen hat er für die
katholische Kirche nicht genutzt.

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Südwest Presse
Lothar Tolks
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