Südwest Presse: Kommentar zum Thema Frankreich

Die anhaltenden Massenproteste gegen eine im
europäischen Vergleich moderate Anhebung des Renteneintrittsalters
von 60 auf 62 Jahre lösen außerhalb Frankreichs nur Kopfschütteln
aus. Doch als Erklärung ein Bonmot heranzuziehen, wonach ein von
aufmüpfigen Galliern bewohntes Land unregierbar sei, greift zu kurz.
Spätestens seitdem der Verweigerungsfront der Gewerkschaften die
Unterstützung durch Studenten zuwuchs, wird deutlich: Es geht längst
nicht mehr nur um die Rentenreform. Durch die Straßen zieht auch die
wachsende Zahl jener, die Staatspräsident Nicolas Sarkozy scheitern
sehen wollen. Nicht die Kräfte der Reformgegner hat der Präsident
unterschätzt, sondern das Ausmaß seiner eigenen Unbeliebtheit. Diese
hatte schon vor dem Sommer einen Tiefstand erreicht. Doch der harte
Ruck, den Sarkozy seither in der Einwanderungs- und
Sicherheitspolitik vollzog, war weiteres Wasser auf die Mühlen seiner
Widersacher. Der Konfrontationskurs des Präsidenten hat die
Rentenreform erst in einen Härtetest für seine Durchsetzungskraft
verwandelt. Einknicken wird Sarkozy wohl nicht. Aber die Bilder von
den Ausschreitungen dürften sich in den Köpfen der Franzosen ebenso
festsetzen wie der Eindruck einer vom Elysée-Palast verordneten
Rücksichtslosigkeit. Sarkozys Wiederwahl ist gefährdet – auch wenn
ihm die Sanierung der Rentenkasse gelingt.

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Lothar Tolks
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