Südwest Presse: Kommentar zum Verfassungsgericht

Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die
Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union
mit.“ So steht es im Grundgesetz, das 1949 nicht zuletzt unter dem
Eindruck der Katastrophe des von Deutschland ausgelösten Zweiten
Weltkriegs formuliert wurde. In diesem Sinn hat das
Bundesverfassungsgericht – abermals – all jenen eine Abfuhr erteilt,
die das politische Streben nach der Einheit Europas prinzipiell für
falsch und gesetzwidrig halten. Stammtischstrategen, Maulhelden der
Talkshows und Meinungsmacher, die missliebige EU-Mitglieder am
liebsten rausschmeißen würden und womöglich gar nach der Rückkehr zur
D-Mark rufen, können es sich hinter den Spiegel stecken.
Grundsätzlich bleibt Karlsruhe beim Ja zu EU und Euro. Doch in
Kontinuität zu den letzten Europa-Urteilen unterstreicht das Gericht
insbesondere die unantastbaren Rechte des Bundestages bei der
Gestaltung der Union. Und es weist erstmals auf die Möglichkeit des
„einseitigen Austritts“ aus völkerrechtlichen Verträgen hin, falls
„maßgebliche Umstände“ verändert werden. Die Richter bestehen für den
dauerhaften Rettungsschirm ESM auf einer Haftungsobergrenze für
Deutschland – letztlich eine Formalie, weil Berlin ohnehin über eine
Sperrminorität bei der Vergabe der ESM-Gelder verfügt. Den Unkenrufen
jedoch, der Rettungsschirm sei ein Fass ohne Boden oder der
Fiskalpakt eröffne den „Durchgriff“ auf die nationale
Haushaltsgestaltung, erteilen die Verfassungsrichter eine Absage. Ein
großes Fragezeichen setzen sie allerdings bereits in Bezug auf den
jüngsten Beschluss der Europäischen Zentralbank, Anleihen
notleidender Staaten aufzukaufen. Über die Gesetzmäßigkeit dieser
Praxis jedoch wurde jetzt noch nicht entschieden. Vor allem für den
Bundestag (und, soweit beteiligt, der Länderkammer) ist das gestrige
Urteil Bestätigung wie Herausforderung. Es bleibt, so wird betont,
die Verantwortung der gewählten Volksvertreter, die „Entscheidung
über Einnahmen und Ausgaben. . . als grundlegender Teil der
demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit“ – sprich: die
Haushaltsrechte – nicht einschränken zu lassen. Die Rolle unseres
Parlaments bei der Kontrolle der Politik der Rettungsschirme wird
gestärkt. Im Ringen um die Wiedergewinnung der Euro-Stabilität sollte
der Bundestag aber auch selbst Zeichen setzen. Etwa indem er dafür
sorgt, dass Deutschland mit leuchtendem Beispiel vorangeht und in
Zeiten hoher Steuereinnahmen endlich ohne neue Schulden auskommt.

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218