Südwest Presse: Kommentar zum Wahlrecht

Ob groß, ob klein, ob Volkspartei oder Vertreter
randständiger Interessen – alle dürfen ins Europaparlament, sofern
sie es schaffen, in Deutschland genügend Wähler zu mobilisieren,
deren Stimmen ihnen wenigstens einen Sitz bescheren. Dieses Urteil
des Bundesverfassungsgerichts nennt der Staatsrechtler Hans Herbert
von Arnim einen guten Tag für die Demokratie. Zu Recht, solange man
die Sache lediglich aus formaler Sicht betrachtet. Denn ohne die
Fünf-Prozent-Klausel geht keine Stimme verloren – das ist eine klare
Stärkung des Wählerwillens. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich
dieses Votum für mehr Mitsprache als schallende Ohrfeige für die
Arbeit des Europaparlaments. Es muss keine Regierung stützen, ist
deshalb auf keine stabilen Mehrheitsverhältnisse angewiesen. Bei mehr
als 150 Parteien kommt es auf ein paar politische Zwerge mehr oder
weniger nicht an, weil Mehrheiten ohnehin über parteiübergreifende
Fraktionen organisiert werden – ganz anders als der Deutsche
Bundestag, der, so darf man die Richter verstehen, eben ein echtes
Parlament ist und deshalb weiterhin einer Sperrklausel bedarf. So ist
das Urteil nicht nur ein Grund zur Freude. Denn hinter ihm verbirgt
sich zugleich heimliche Schelte für das oft beklagte
Demokratiedefizit auf europäischer Ebene. Oder deutlicher
ausgedrückt: Das Europaparlament ist so macht- und harmlos, dass dort
nicht einmal die Tierschutzpartei stört.

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Südwest Presse
Lothar Tolks
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