Das Fest ist vorbei
Die Party ist vorbei, von dem Fest der Demokratie am Nil kaum noch
etwas übrig. Der Fahrplan für den Machttransfer vom Obersten
Militärrat auf eine zivile Führung liegt zerfetzt am Boden. Das erste
demokratisch gewählte Parlament und die Verfassungsgebende
Versammlung sind aufgelöst. Und während die Wähler am Sonntag noch an
den Urnen anstanden, stutzten die Generäle dem künftigen Präsidenten
bereits so brutal die Kompetenzen, dass er höchstens noch zum
obersten Grüßonkel Ägyptens taugt. Alle wirklichen Fäden dagegen
bündeln sich nun per Selbstermächtigung in den Händen der
Armeeführung. Mit ihrer jetzt erweiterten Rumpfverfassung ist die
Neuwahl des Parlaments auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Die
Zusammensetzung der Verfassungsgebenden Versammlung verlesen die
Generäle eigenhändig. Jeden Artikel eines Grundgesetzes, der ihnen
nicht passt, können sie blockieren. Was vor vier Wochen nach der
ersten Runde der Präsidentenwahl noch wie eine kommende Übermacht der
Muslimbruderschaft aussah, hat sich quasi über Nacht in einen
rabiaten Renaissanceversuch des alten Systems verwandelt. Noch
schwankt die Muslimbruderschaft, ob sie zunächst klein beigeben oder
auf totale Konfrontation setzen soll. Ihre Mehrheit im Parlament ist
weg und das wohl auf lange Zeit. Bei der Neugestaltung der Verfassung
hat sie zwar noch ein Wörtchen mitzureden. Aber das Militär sitzt
überall am längeren Hebel. Für Ägyptens Zukunft verheißt all das
nichts Gutes. Denn die politische Kultur aus der Ära der arabischen
Langzeitpotentaten ist zutiefst geprägt davon, Machtverteilung als
Null-Summenspiel zu begreifen. Wer am Drücker ist, versucht den
anderen so hart wie möglich an die Wand zu quetschen. Berechtigte
Interessen des Gegners anzuerkennen, kommt in dieser Welt nicht vor.
So setzten die Muslimbrüder ihre überwältigen Mehrheit im Parlament
ohne Bedenken dazu ein, ihre Vorstellung von der Zusammensetzung der
Verfassungsgebenden Versammlung durchzureichen. Nur der Boykott der
liberalen Kräfte sowie das Oberste Verwaltungsgericht brachten die
Dampfwalze schließlich zum Stehen. Wenig später versuchten die
Islamisten, den ehemaligen Premierminister Ahmed Schafik mit einem
eilig zusammengezimmerten Gesetz aus dem Präsidentschaftsrennen zu
kegeln, bis ihnen das Verfassungsgericht in den Arm fiel. Auch die
verfassungswidrige Vermischung der beiden Mandatepools, die letzte
Woche zur Auflösung des Parlaments geführt hat, geht auf solche
Allmachtsmotive zurück. Denn damit wollten die neuen Herren in erster
Linie ehemaligen Mubarak-Größen den Weg ins Parlament verbauen.
Schließlich geben manche von ihnen in ländlichen Wahlkreisen immer
noch den Ton an und hätten gute Chancen gehabt. Seit fünf Tagen läuft
nach dem gleichen Muster des Alles-oder-Nichts die Retourkutsche der
alten Kräfte – mit dem Obersten Militärrat an der Spitze. Doch auch
wenn sich die beiden jahrzehntelangen Kontrahenten in den kommenden
Monaten noch tiefer ineinander verbeißen, sie haben ihre Rechnung
ohne den Tahrir-Platz gemacht. Die Demokratiebewegung in Ägypten
hatte nie das Ziel, eine Neuverteilung der Macht zwischen Mubaraks
Regime-Staat und dem Schattenstaat der Muslimbrüder
herbeizudemonstrieren. Denn beide Machtpole sind an einer offenen
Gesellschaft, an Pluralität, breiter Beteiligung der Bürger und einem
bunten Spektrum ziviler Organisationen nicht interessiert. Darum aber
ging es den jungen Revolutionären bei ihrem historischen Aufstand,
der mit Mubaraks Sturz endete. Und darum wird es auch bei dem neuen
Kampf gehen, der jetzt auf dem Tahrir-Platz beginnt.
Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218