Zum Begriff „THC“
Häufig wird der Begriff „THC“ ohne Differenzierung zwischen Gesamt-THC und Delta-9-THC verwendet. Der Gesamt-THC-Gehalt setzt sich aus dem gegebenenfalls tatsächlich im Lebensmittel vorhandenen psychoaktiv wirkenden Delta-9-THC und der bei der analytischen THC-Bestimmung in Delta-9-THC umgewandelten, nicht psychoaktiv wirkenden Vorstufe Delta-9-Tetrahydrocannabinolsäure (THC-A) zusammen.
Ausgewiesen wird der Gesamt-THC-Gehalt nach dessen analytischer Bestimmung hingegen ebenfalls als Delta-9-THC-Gehalt.
Hauptkritik bei der Risikobeurteilung: Anwendung falscher Referenzwerte
Hauptkritikpunkt bei der Beurteilung des Risikos von Hanf-Lebensmitteln ist die unterschiedliche Referenzbasis (Gesamt-THC versus Delta-9-THC), die für die Einschätzung der Verkehrsfähigkeit eines Lebensmittels entscheidend ist.
Mittels Gaschromatografie (GC) wurde bei der Marke Veganz der Gesamt-THC-Wert bestimmt und zu der akuten Referenzdosis (ARfD) für Delta-9-THC in Beziehung gesetzt. Der tatsächliche Delta-9-THC-Gehalt im betroffenen Proteinpulver dürfte aber methodenbedingt unter dem analytisch ermittelten Gesamt-THC-Gehalt liegen. Folglich wurden nicht vergleichbare Werte miteinander verglichen, was zu einer falschen Beurteilung der Verkehrsfähigkeit führt.
Beurteilung von THC im weltweiten Kontext
Für Gesamt-THC respektive Delta-9-THC in Lebensmitteln und seine tägliche Aufnahme pro Kilogramm Körpergewicht existieren weder in der EU noch in Deutschland und bei der WHO bis dato verbindliche Grenzwerte.
Das BfR (vormals BgVV) veröffentlichte in 2000 einen Richtwert für die duldbare tägliche Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake, ADI) von ein bis zwei Mikrogramm
Gesamt-THC pro Kilogramm Körpergewicht (Unsicherheitsfaktor 20 bis 40 [4], minimale Wirkdosis 2,5 Milligramm pro Tag und Person, männlich, 70 Kilogramm). Hierbei ging das BfR von einer chronischen THC-Wirkung aus. [5] Ausgehend von der gleichen Wirkdosis legte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in 2015 wegen des Risikos einer akut toxischen Wirkung (Unsicherheitsfaktor 40) eine ARfD von einem Mikrogramm Delta-9-THC pro Kilogramm Körpergewicht fest. [3]
Die uneinheitliche Einschätzung von THC zeigt sich auch beim Vergleich nationaler Regelungen. Die Schweiz hat im Gegensatz zu Deutschland und Europa eindeutige Grenzwerte für Delta-9-THC in Lebensmitteln definiert, die deutlich über den Richtwerten des BfR liegen. [6] Ebenfalls deutlich höher ist der in Kanada (größter Produzent von Hanf-Lebensmittelrohstoffen) geltende Delta-9-THC-Höchstwert von zehn Milligramm pro Kilogramm für Hanf-Lebensmittelrohstoffe. [7]
Bewertung des THC-Gehalts im verzehrfertigen Lebensmittel fehlt
Hanf-Proteinpulver wird typischerweise als Zutat in kalten Getränken verwendet, so dass eine Umwandlung von THC-A in Delta-9-THC durch Hitzeeinwirkung ausgeschlossen werden kann. Hanf-Proteinpulver-Mix-Getränke fallen als zubereitetes, verzehrfähiges Lebensmittel gemäß der BfR-Richtlinie unter die Kategorie „alle anderen Lebensmittel“ [5]. Für diese Produktgruppe gilt ein Gesamt-THC-Richtwert von 0,15 Milligramm pro Kilogramm verzehrfähigem Lebensmittel. [5]
Die Empfehlung der European Industrial Hemp Association (Europäischer Nutzhanfverband, EIHA) liegt bei 3,5 Milligramm pro Kilogramm für ein mit Hanf-Proteinpulver zubereitetes, verzehrfähiges Lebensmittel. [4]
Die EFSA macht keine Angaben zum THC-Gehalt im verzehrfähigen Lebensmittel. [3] Daher erfolgt die Beurteilung des Hanf-Proteinpulvers fälschlicherweise anhand des ebenfalls „falschen“ THC-Wertes allein für die Zutat, nicht aber für das verzehrfähige Lebensmittel.
Proteinsupplemente für Kleinkinder nicht geeignet
Verzehrempfehlungen für Proteinpulver-Produkte richten sich im Allgemeinen an einen durchschnittlichen Erwachsenen (Energiebedarf von 8400kJ / 2000kcal). [8]
Die Gabe von Proteinsupplementen an Kleinkinder ohne medizinische Indikation ist im Allgemeinen nicht anzuraten. 25 Gramm 50-prozentiges Hanf-Proteinpulver entsprechen 12,5 Gramm Protein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für Ein- bis Vierjährige eine tägliche Proteinzufuhr von einem Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. [9] Damit ist die empfohlene Tagesmenge bei 15 Kilogramm Körpergewicht fast ausgeschöpft, so dass eine regelmäßige Supplementierung zu einer dauerhaft den Organismus belastenden Überdosierung führen kann.
Kein allergenes Potenzial im Vergleich zu anderen Proteinquellen
Dem Hinweis, auf Proteinquellen aus Nüssen oder Soja zurückgreifen, kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden, da sie ein sehr hohes allergenes Potenzial besitzen. Obwohl Hanfsamen (Rohstoff für Hanf-Proteinpulver) botanisch den Nüssen zuzuordnen sind, verfügen sie über kein allergenes Potenzial. Die Problematik einer möglicherweise zu hohen Proteinaufnahme von Kleinkindern besteht darüber hinaus bei allen zur Supplementierung verwendeten Proteinprodukten.
Fazit
Grundsätzlich ist die Gabe von Proteinsupplementen ohne medizinische Indikation an zwei bis dreijährige Kinder nicht empfehlenswert. Richtig ist, bei potenzieller Gefahr ein Lebensmittel vorsorglich vom Markt zu nehmen, ohne jedoch die sachliche Ebene in der öffentlichen Darstellung zu verlassen.
Die Erörterung der THC-Problematik sollte mit Sorgfalt und die Risikoeinschätzung auf Grundlage valider Informationen und Fakten erfolgen, um nicht Sachverhalte zu vergleichen, die nicht vergleichbar sind. Wünschenswert ist eine vernünftige Einschätzung der Risiken von hanfhaltige Lebensmitteln anhand valider Daten, die alle unterschiedlichen Aspekte berücksichtigen.
Aktuelle Empfehlungen spiegeln nur Momentaufnahmen der derzeitigen Ergebnislage wider. Wissenschaftlich fundierte Vorschläge für neue Richtwert-Empfehlungen sowie eine realistische Einschätzung der THC-Thematik bietet der Report des nova-Instituts und der EIHA aus 2015 [4].
Quellen
[1] VERORDNUNG (EG) Nr. 1177/2000 DER KOMMISSION vom 31. Mai 2000 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1164/89 zur Durchführung der Beihilferegelung für Flachs und Hanf http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32000R1177&from=DE
(online-Zugriff 31.05.2016)
[2] Lachemeier D. Hanfhaltige Lebensmittel – ein Problem? in: Deutsche Lebensmittel-Rundschau, 100. Jg., 2004, Heft 12. http://lachenmeier.gmxhome.de/Hanf_481-490_DLR-2004.pdf (online-Zugriff 20. Juni.2016)
[3] EFSA (2015). Scientific Opinion on the risks for human health related to the presence of tetrahydrocannabinol (THC) in milk and other food of animal origin. http://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/pub/4141 (online-Zugriff 14.05.2016)
[4] nova-Institute (2015). Scientifically Sound Guidelines for THC in Food in Europe. http://eiha.org/media/2015/08/15-07-24-Report-Scientifically-Safe-Guidelines-THC-Food-nova-EIHA.pdf (online Zugriff 14.05.2016)
[5] BgVV (2000). BgVV empfiehlt Richtwerte für THC (Tetrahydrocannabinol) in hanfhaltigen Lebensmitteln. http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2000/07/bgvv_empfiehlt_richtwerte_fuer_thc__tetrahydrocannabinol__in_hanfhaltigen_lebensmitteln-884.html
(online-Zugriff 14.05.2016]
[6] Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) (2015). 817.021.23 Verordnung des EDI über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln (Fremd- und Inhaltsstoffverordnung, FIV) vom 26. Juni 1995 (Stand am 1. Oktober 2015). https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19950193/index.html#
(online-Zugriff 14.05.2016)
[7] Government of Canada. Agriculture and Agri-Food Canada: (01.03.2016). Industrial Hemp. http://www.agr.gc.ca/eng/industry-markets-and-trade/statistics-and-market-information/by-product-sector/crops/pulses-and-special-crops-canadian-industry/industrial-hemp/?id=1174595656066 (online-Zugriff 27.05.2016)
[8] Das Europäische Informationszentrum für Lebensmittel EUFIC. http://www.eufic.org/article/de/artid/Zur_Bedeutung_von_Guideline_Daily_Amounts/ (online-Zugriff 14.5.2016)
[9] Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.(DGE). Referenzwerte Protein. https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/protein/
(online-Zugriff 14.05.2016)