WAZ: Die Launen der Wirtschaft – Leitartikel von Tobias Blasius

Der Präsident der Hochschulrektoren hat erfrischend
schnörkellos einige unangenehme Wahrheiten ausgesprochen: Die
Umwälzung der deutschen Hochschullandschaft im Namen der europäischen
Harmonisierung ist nicht jene strahlende Erfolgsgeschichte, die uns
Bildungspolitiker jeder Couleur immer Glauben machen wollen. Die vor
zehn Jahren gestartete Umstellung der Studienabschlüsse auf Bachelor
und Master nehme nicht mehr die umfassend akademisch gebildete
Persönlichkeit in den Blick, sondern den schnell bewerbungsfähigen
Absolventen. Das könne sich eine Wissensgesellschaft nicht leisten.
Zumal es mit den gewünschten Auslandssemestern auch nicht so weit her
sei. Wie gern würde man Hippler vorbehaltlos zustimmen – nähme er
nicht ausgerechnet „die Wirtschaft“ zum Kronzeugen: Auch viele
Unternehmen suchten heute in Ruhe gereifte Absolventen.
Bildungspolitik kann sich jedoch nicht an den Launen der
Personalabteilungen ausrichten. Mal fordert „die Wirtschaft“
möglichst viele Akademiker, beklagt dann wieder die Verwässerung der
Abschlüsse. Mal sollen die Studienabgänger möglichst jung sein, dann
wieder mit ausreichend Lebenserfahrung ausgestattet. Mal ist eine
Spezialausbildung ohne zusätzliches Klimbim gefragt, dann wieder eine
Art Studium generale. Die Hochschulrektoren wären gut beraten, solche
Einflüsterungen zu ignorieren und die konkreten Studienbedingungen zu
verbessern. An jeder Universität, in jedem Studiengang warten
reichlich Aufgaben.

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