WAZ: Grüne Entfremdung. Kommentar von Ulrich Reitz

An sich ist es eine Selbstverständlichkeit, wenn der
grüne Regierungschef in Baden-Württemberg die Krawalleros von
Stuttgart 21 in die Schranken weist und den Rechtsstaat aufruft. Ein
Ministerpräsident darf keine Gewalt dulden, auch wenn die Gewalttäter
wollen, was er will.

Und dennoch lässt einen Kretschmanns Staatsloyalität aufatmen.
Denn die Institutionen des Staates stets zu stützen, gehört nicht zu
Wesenskern und Geschichte der Grünen. Ihre DNA war lange die
Unangepasstheit bis hin zum Liebäugeln mit der Revolte, dem
sogenannten passiven Widerstand der Gleisblockierer-Szene. Diese
unterscheidet feinsinnig zwischen der Gewalt, die sich gegen Menschen
richtet und solche gegen Sachen. Beides ist aber Rechtsbruch, der
weder geduldet noch gerechtfertigt werden darf.

Die Krawallnacht von Stuttgart und Kretschmanns Reaktion darauf
zeigen, was den Grünen nun womöglich bevorsteht: Die Entfremdung von
einem beachtlichen Teil ihrer Basis. Andere Parteien, etwa die SPD,
kennen das Phänomen. Es ist der Preis, den jede Partei zahlt, die
regiert. Je höher der moralische Anspruch ist, den eine Partei vor
sich herträgt, um so teurer wird es.

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