WAZ: Heile Welt. Kommentar von Gregor Boldt

Das Lebensgefühl in den 60er-/70er-Jahren war: rot.
Wer sich nicht regelmäßig seine langen Haare von einem Wasserwerfer
waschen ließ, während er gegen Hausabrisse, Krieg und Kapitalismus
demonstrierte, war gesellschaftlich unten durch.

Heute ist das Lebensgefühl derer, die angesagt sein wollen: grün.
Es ist eine Gewinner-Farbe. „Wähl“ die Grünen, da kannst du nicht
viel falsch machen“, war ein viel gehörter Satz in den jüngsten
Wahlkämpfen. Stimmt. Was kann falsch daran sein, gegen die
unbeherrschbare Kernkraft und Mastbetriebe zu sein sowie den
Klimawandel aufhalten zu wollen? Über 100 000 Nutzer von
Facebook haben ihr Profil mit einem Atomkraft-nein-Danke-Bild
geschmückt. Die Bewohner großstädtischer Szeneviertel fahren morgens
auf handgefertigten Rädern zur Arbeit, um am Abend das Filet
glücklich gestorbener Rinder aus der Region auf Biogemüse zu essen.
Man lebt das Klischee, weil es sexy ist – und weil man es sich
leisten kann.

Die Wurzeln der grünen Revolution liegen nicht im Proletariat,
sondern in der bürgerlichen Mitte. Sie ist konservativ. Sie will
bewahren. Eine heile Welt, in der sie es sich bequem gemacht hat.

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