WAZ: Mehr Offenheit. Kommentar von Martin Tochtrop

Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als
15 000 Kinder sexuell misshandelt, die Dunkelziffer schätzt das
Bundeskriminalamt auf zehnmal so hoch. Da erscheint die Zahl von 560
Opfern, die im Laufe von Jahrzehnten von Mitgliedern der katholischen
Kirche missbraucht und jetzt entschädigt wurden, eher gering. War das
Ganze also nur ein Medien-Hype, eine willkürliche Hetzjagd auf Männer
im Talar?

Wohl kaum. Denn wer sein Kind in die Obhut der Kirche gibt, setzt
besonders hohes Vertrauen in deren Mitarbeiter. Ein Geistlicher ist
nicht einfach nur: auch ein Mensch. Ein Pfarrer ist mehr, zumindest
in den Köpfen vieler Gläubiger. Er schwebt quasi über den Dingen, als
Mittler zwischen Himmel und Erde. Wer diese ganz besondere
Verantwortung im doppelten Sinne des Wortes missbraucht, muss sich
nicht wundern, wenn die Scheinwerferlichter der Medienzunft besonders
grell auf ihn gerichtet werden. Das verlorene Vertrauen
zurückzugewinnen, wird lange Zeit in Anspruch nehmen. Dazu muss die
katholische Kirche viel mehr Transparenz walten lassen als bisher.
Aber Offenheit gehört nicht unbedingt zu ihren stärksten Seiten.

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