WAZ: Nur ein Ritual für Tibet. Kommentar von Matthias Korfmann

Es ist ein Ritual: Westliche Regierungschefs
empfangen den Dalai Lama, und Chinas Führung ist sauer. Merkel hat
ihn empfangen, Sarkozy auch. Der Friedensnobelpreisträger Obama
plauderte zum zweiten Mal im Weißen Haus mit dem
Friedensnobelpreisträger aus Tibet. Sie verstehen sich gut.

Es ist ein Ritual bis zum immer gleichen Ende: Der Ärger der
chinesischen Regierung verflüchtigt sich innerhalb weniger Tage, der
mahnende Zeigefinger des Westens verschwindet in der weit geöffneten
Hand, und dann reden sie wieder miteinander über das nächste
Geschäft. Höflich, als wäre nichts passiert. Was selbstbewusst wirken
soll, ist es in Wirklichkeit nicht. Obama und Kollegen achten
peinlich genau darauf, dass die Visite des Tibeters nicht annähernd
den Glanz eines Staatsbesuchs bekommt. Ins „Oval Office“ darf ein
Dalai Lama nicht. Die Chinesen könnten ja mal wirklich sauer werden.

Wie anders geht China mit seinen Gästen um! Gerade erst haben sie
dort den Sudanesen Omar al Baschir empfangen, einen
Menschenschlächter und Kriegsverbrecher. Nicht heimlich, still und
leise, sondern mit Ehrengarde. Nennenswerte diplomatische
Verstimmungen hat das im Westen nicht ausgelöst.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de