Das Titelbild eines deutschen
Nachrichtenmagazins zeigt Christian Wulff mit muslimischer
Kopfbedeckung – der Bundespräsident als Vorkämpfer des Islam in
Deutschland. Diese Polemik, so bösartig sie ist, bringt die Gefahr
auf den Punkt, die Wulffs Türkei-Besuch birgt. Die bizarre deutsche
Integrationsdebatte ist zu einem Kulturkampf ausgeufert. Es wäre ein
Albtraum für das Staatsoberhaupt, zwischen dessen Fronten zu geraten.
Wulff darf sich gewiss sein, dass die unterschiedlichen
Interessengruppen gestern nach seiner Rede vor der türkischen
Nationalversammlung ihre Deutungsmaschinen anwarfen, um die Aussagen
des Bundespräsidenten für eigene Interessen zu instrumentalisieren.
Aber Wulff hat es ihnen denkbar schwer gemacht, weil er sich
jenseits von Multi-Kulti-Seligkeit auf der einen und schrillem
Überfremdungs-Alarm auf der anderen Seite klar positionierte. Er
hatte die Botschaft in seiner Grundsatzrede zur Einheit zunächst den
Deutschen übermittelt, jetzt erläuterte er sie den Türken: Er
verstehe sich als Präsident aller Deutschen, auch der Muslime. Damit
nahm er die zentrale Rolle eines Staatsoberhauptes wahr, ein Volk
entgegen alle sozialen und kulturellen Fliehkräfte zu einen.
Es wäre hingegen unredlich, Wulff eine Einmischung in die
tagesaktuelle Politik vorzuwerfen, weil er die türkischen Einwanderer
vor Pauschalurteilen einer kollektiven Integrationsverweigerung in
Schutz nahm. Er kritisierte Horst Seehofers Einlassungen nicht aus
politischem oder gar parteitaktischem Kalkül. Er tat dies, um eine
zunehmend abgehobene Debatte zu erden. Zu dieser Sachlichkeit gehörte
für Wulff auch der Mut, die tatsächlichen Konflikte vor der
türkischen Nationalversammlung anzusprechen: die Unterdrückung von
Christen in der Türkei, die Integrationsdefizite türkischer Migranten
in Deutschland.
Mit Wulff ist seit zehn Jahren wieder ein Bundespräsident in der
Türkei; gestern nutzte er diese Chance und trat als Versöhner und
Brückenbauer auf, ohne sich in Schönfärberei zu erschöpfen. Nach
einem eher holprigen Start in sein Amt hat Christian Wulff durch
kluge Beiträge zur Integrationsdebatte seine Rolle als Staatsmann
gefunden – in Ankara hat der Bundespräsident seine Reifeprüfung
bestanden.
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