Westdeutsche Zeitung: Internet-Pranger =
von Peter Kurz

Die Situation ist bedrückend. Ein
Sexualstraftäter kommt nach Verbüßung seiner Haft frei. Obwohl zu
vermuten ist, dass auch künftig eine Gefahr von ihm ausgeht. Weil
aber wegen eines Urteils des Menschenrechtsgerichtshofs in etwa 80
solchen Fällen eine rückwirkend angeordnete Sicherungsverwahrung
nicht möglich ist, werden diese vielleicht sehr gefährlichen Menschen
zu unseren Nachbarn. Unerkannt. Da erscheint der Vorschlag des Chefs
der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, schlüssig, den Wohnsitz via
Internet bekannt zu machen. Aber was dann? Sollen Menschen, die sich
bedroht fühlen, fortan bestimmte Straßenzüge meiden? Statt sich
sicherer zu fühlen, werden auf diese Weise informierte Nachbarn
vielmehr verunsichert sein. Und: Ihre Immobilienwerte werden sinken.
Wer will schon gern in der Nähe eines verurteilten Sexualverbrechers
leben? Gewiss, Immobilienpreise sind läppisch im Vergleich zu den
Ängsten von Eltern um ihre Kinder. Diese Sorgen müssen ernst genommen
werden. Aber das Anprangern im Internet hilft hier nicht weiter. Denn
dies wäre das Eingeständnis des Staates und seiner Polizei, der
Bedrohung nicht Herr zu werden. Die Sache wird an die Bürger
delegiert, nach dem Motto: Macht mit der Information, was ihr wollt.
Demonstriert vor dem Haus, verjagt diesen Menschen. Hat das Erfolg,
wiederholt sich das Ganze in der nächsten Stadt. Statt dem Täter nach
Verbüßung seiner Strafe die Chance auf Resozialisierung zu geben,
wird der Angeprangerte in die Isolation getrieben und damit womöglich
erst recht gefährlich. Oder er wird sogar angegriffen. Statt neue
Straftaten zu vermeiden, werden weitere provoziert. Die Polizei
bekäme am Ende noch mehr zu tun: Sie hätte nicht nur die Bevölkerung
vor dem möglichen Rückfalltäter zu schützen, sondern auch diesen vor
einer Lynchjustiz. Was also tun – die Sicherungsunterbringung
gefährlicher Täter? Selbst wenn dies in Häusern geschähe, die keine
Gefängnisse sind, bliebe die Sache rechtlich heikel. Denn es würden
Menschen, die ihre Strafe abgesessen haben, vorbeugend eingesperrt –
wegen Taten, die sie noch gar nicht begangen haben. Am Ende bleiben
wohl nur Therapieangebote und lückenlose Observation, um die Risiken
zu minimieren.

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