Westdeutsche Zeitung: Merkel wirkt erstmals wie eine Getriebene = von Lothar Leuschen

Die Zeiten sind schlecht für Angela Merkel. Das
waren sie freilich schon häufiger. Aber bisher erweckte die
Bundeskanzlerin dabei immer den Eindruck, die Fäden auch in größten
Turbulenzen in der Hand zu halten. Diesmal hingegen wirkt sie wie
eine Getriebene. Die Wahlen in Frankreich, Griechenland und
Nordrhein-Westfalen haben das Gegenteil von dem erbracht, was Merkel
sich erhofft haben dürfte. Der europäische Gleichschritt mit
Frankreich droht aus dem Takt zu geraten, seit der Sozialist François
Hollande den konservativen Nicolas Sarkozy aus dem Elysée-Palast
verdrängt hat. Und das Erdbeben von Düsseldorf erschüttert das
Kanzleramt seit fast einer Woche heftig. Während Merkel solche Krisen
in der Vergangenheit souverän lächelnd ignorierte, sieht sie sich
diesmal zum Handeln gezwungen. „Madame Non“ wird offenbar „Madame
Oui“, wenn es um Wachstumshilfen für die Pleitestaaten in der EU
geht. Und innenpolitisch ist ihr Bundesumweltminister Norbert Röttgen
ein erstes Opfer. Der war im NRW-Wahlkampf an eigenen Schwächen und
Fehleinschätzungen gescheitert. Doch Merkel stärkte ihm zunächst den
Rücken. Denn eigentlich brauchte sie Röttgen als Moderator der
Energiewende. Und sie brauchte ihn als Fingerzeig für die Grünen,
dass mit der Union Koalitionen auch auf Bundesebene möglich sein
können. Dass nun ausgerechnet der divenhafte CSU-Chef und bayrische
Ministerpräsident Horst Seehofer die Kanzlerin zwingen konnte,
Röttgen zu entlassen, zeigt, wie geschwächt Merkel ist. Zwar hat sie
in Peter Altmaier schnell einen loyalen Nachfolger gefunden.
Gleichzeitig aber brachte sie den größten CDU-Landesverband gegen
sich auf. Die Christdemokraten an Rhein und Ruhr werden trotz ihres
desolaten Zustandes nicht hinnehmen, dass nun keiner der ihren mehr
am Kabinettstisch in Berlin Platz nehmen darf. Die Zeiten sind
wahrlich schlecht für Angela Merkel und für ihre Regierung,
schlechter denn je. Die Kanzlerin angeschlagen, die Union
zerstritten, der Koalitionspartner im Überlebenskampf – spätestens in
knapp anderthalb Jahren wird der Bundestag neu gewählt. Derzeit sieht
es so aus, als hätte am vergangenen Sonntag in Nordrhein-Westfalen
die nächste deutsche Kanzlerdämmerung begonnen.

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