Westdeutsche Zeitung: Mindestlohn = von Peter Kurz

Die Debatte in der CDU um einen Mindestlohn ist
vor allem eines: politische Taktiererei. Die Kanzlerin besetzt damit
ein früher in ihrer Partei tabuisiertes Thema und versucht auf diese
Weise, der SPD ein Wahlkampfthema aus der Hand zu schlagen. Die ins
Wählervolk gesandte Nachricht lautet: Seht her, die CDU ist alles
andere als die Partei der sozialen Kälte. Andererseits ist das jetzt
in Leipzig präsentierte Konzept so schwammig, dass nicht mal die
grummelnde FDP dies als Bruch des Koalitionsvertrages hinstellen
kann. Denn in dem zwei Jahre alten Papier steht nichts anderes als
das, was die Kanzlerin auch jetzt wieder sagt: „Einen einheitlichen
gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab.“ Sie will eben nur eine
Lohnuntergrenze, ohne dabei aber konkret zu werden. Längst gibt es
Mindestlöhne in neun verschiedenen Bereichen – vom Baugewerbe über
die Gebäudereinigung bis zur Pflegebranche. Aus als gut erkannten
Gründen mischt sich hier die Politik also sehr wohl ein in die freie
Marktwirtschaft: Es wird dem entwürdigenden Trend gegengesteuert,
dass Menschen trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Verdienst leben
können, sondern mit Hartz IV „aufstocken“ müssen. Auch kann der Staat
bei höheren Löhnen die Hilfsleistungen, mit denen er solche Jobs
stützt, zurückfahren und steigert gleichzeitig seine Steuereinnahmen.
Und da ist noch der wettbewerbspolitische Aspekt, der auch aus
Unternehmersicht stechen müsste: Ein Mindestlohn verdirbt
Konkurrenten das Geschäft, die sich nur durch Billigarbeitskräfte auf
dem Markt halten und so den seriösen Wettbewerbern die Aufträge
wegschnappen. Auch der Verbraucher als Abnehmer entsprechender
Dienstleistungen wird von solchen Billiganbietern nicht viel zu
erwarten haben. Indem Angela Merkel das Thema besetzt, erweckt sie
den Eindruck, als folge sie diesen Argumenten. Das ist die Nachricht,
die beim Wahlvolk hängenbleiben soll. Gleichzeitig legt sie sich
nicht einmal auf den Mindestlohn der Zeitarbeitsbranche (7,89 Euro
pro Stunde im Westen) fest. Damit besänftigt sie den schon unruhig
scharrenden Koalitionspartner FDP und auch den rumorenden
Wirtschaftsflügel der eigenen Partei. So funktioniert sie, die
Merkel“sche Staatskunst.

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