Das kalte politische Leben trägt plötzlich ein
menschliches Antlitz. Frank-Walter Steinmeier will sich bereits heute
eine Niere entnehmen lassen, um seiner Frau das Leben zu retten. Mit
diesem Liebesbeweis setzt der SPD-Fraktionschef ein deutliches
Zeichen. Eine staunende Öffentlichkeit erfährt: Auch
Vollblut-Politgrößen, die vermeintlich vor allem parteitaktisch und
mit starkem Blick auf die eigene Karriere handeln, entsprechen im
Ernstfall nicht diesem Klischee. Steinmeier folgt mit seiner
konsequenten Entscheidung dem Beispiel Franz Münteferings, der sogar
ein Ministeramt aufgab, um seine todkranke Frau zu pflegen. Solche
Politiker senden klare Signale aus: Unsere Arbeit und die Gestaltung
der Gesellschaft ist wichtig, aber es gibt Wichtigeres. Wir sollten
uns von Steinmeiers Entschluss beeindrucken lassen und auf einiges
verzichten, was vielleicht manchen aus allzu menschlichen Motiven
verlockend erscheint. Natürlich wollen wir wissen, ob die Operationen
erfolgreich verlaufen. Aber wir sollten dann den Wunsch der Familie
nach Privatsphäre respektieren. Tägliche ärztliche Bulletins mit
Blick durchs Schlüsselloch von Krankenzimmer-Türen sollte nicht das
sein, nachdem die Öffentlichkeit dürstet. Hoffentlich wird auch die
politische Szene besonnen reagieren. Denn es wäre unwürdig, wenn
jetzt Gegner oder auch Parteifreunde die Abwesenheit Steinmeiers
ausnutzten, um an politischen Stellschrauben zu drehen – von
Personaldebatten ganz zu schweigen. Doch abgesehen davon, dass die
Chancen gut stehen, dass der Anstand siegt, steht auch inhaltlich
nicht viel zu befürchten. Steinmeier hat die SPD-Position zur Rente
mit 67 noch festgeklopft – und die Haushaltsdebatte wird in drei
Woche eben ohne ihn beginnen müssen. Steinmeiers Schritt kann für
viele ein riesiger Gewinn sein: Für seine Frau und ihn sowieso. Aber
auch die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der politisch Tätigen in
Deutschland insgesamt dürfte steigen. Und besonders wichtig:
Frank-Walter Steinmeier, der sich bereits als Student den
entsprechenden Ausweis ausstellen ließ, hat dem Thema Organspende
einen neuen Stellenwert gegeben. Viele Kranken dürfen neu hoffen.
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