Westdeutsche Zeitung: Zum Start der SPD-Mitgliederbefragung steigt die Nervosität = von Martin Vogler

Knapp eine halbe Million Briefumschläge, die
die SPD in die Post gegeben hat, kann die politische Kultur
revolutionieren. Wenn die Parteimitglieder zum Koalitionsvertrag Ja
sagen, dann dürfte das Experiment andere Parteien zum Nachmachen
animieren. Sie könnten dies als erfreulichen Schritt zu mehr
Basisdemokratie und damit gegen die Politikverdrossenheit verkaufen.
Außerdem haben die Politiker dank der SPD schon jetzt gelernt, dass
es die eigene Verhandlungsposition verbessert, wenn über allem ein
drohendes negatives Voting der Mitglieder schwebt. Sagen hingegen die
Mitglieder Nein, wäre das Dilemma da. Das Land bliebe ohne richtige
Regierung, die SPD stünde vor einem Scherbenhaufen. Wobei täglich die
Wahrscheinlichkeit eines positiven Votums steigt. Zwar nicht
unbedingt, weil die Mitglieder vom Koalitionsvertrag begeistert sind,
aber weil sie die Folgen eines Neins für ihre Partei zu sehr
fürchten. Die Nervosität in der SPD ist zu Recht riesig. Schon wegen
der juristischen Zweifel, auch wenn Verfassungsrechtler dazu zu
neigen scheinen, der Mitgliederbefragung ihren Segen zu geben. Auch
das Argument Sigmar Gabriels, bei CDU und CSU sei die Zahl der
Entscheider schließlich noch kleiner, weil dort nur die Führung
beschließt, ist zwar vielstrapaziert, aber dennoch gut. Im Grundsatz
könnte das Verfahren also in Ordnung gehen. Tücken stecken eher im
Detail, etwa deshalb, weil über den Umweg Mitgliederentscheid
Menschen mit SPD-Parteibuch über die Zukunft Deutschlands
mitbestimmen, die nicht wahlberechtigt sind. Es geht um jene 7000
Mitglieder ohne deutsche Staatsbürgerschaft und 1300, die noch keine
18 Jahre alt sind. Ebenfalls tückisch ist die Frage, wie viele nur
kurzfristig in die Partei eintraten, um über den Koalitionsvertrag
abzustimmen. Dass mindestens in einem Fall ein Mitglied akzeptiert
wurde, das es gar nicht gibt, dürfte die Nervosität der Genossen eher
noch steigern, genauso wie die gestern bekanntgewordene
Droh-Anruf-Affäre in Richtung Widerspenstiger. Diese Erfahrungen
lassen vermuten, dass einige in der Führung – auch wenn sie anderes
verkünden – froh wären, wenn sie sich nicht auf die Idee der
Basisbefragung eingelassen hätten.

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