Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Chinas KP

Im Osten nichts Neues. Der 18. Kongress der
Kommunistischen Partei Chinas ist nach einer Woche exakt so zu Ende
gegangen, wie von vornherein geplant. Staats- und Regierungschef Hu
Jintao machte gestern den Weg frei für den seit Jahren als Nachfolger
aufgebauten Xi Jinping – klingt unspektakulär, ist bei näherer
Betrachtung aber bemerkenswert. Denn hinter der Fassade ging es noch
nie um so viel wie 2012. Historisch mögen Maos Langer Marsch, die
Kulturrevolution sowie die Abrechnung mit dessen Witwe und deren
Viererbande intern erschütternder und ungleich gewalttätiger gewesen
sein. Aber: Im China des 21. Jahrhunderts geht es um Milliarden
Dollar, um Wirtschaftsinteressen und globale Erschütterungen, die
drohen, wenn das Riesenreich ins Wanken gerät. Und danach sah es seit
Jahresbeginn durchaus aus: Nachlassendes Wachstum,
Kanonenbootpolitik, Milliardenvermögen der Führungsclique und ein
Schauprozess zum Wegbeißen des Prinzlings Bo Xilai ließen vor dem
Kongress in der Großen Halle des Volkes Überraschungen möglich
erscheinen. Aber die Fassade hat gehalten. Nicht ein Riss zeigte
sich in den vergangenen Tagen in der fragilen Struktur, von der sich
jeder fragt, was noch an Substanz darin steckt. Der
Rechenschaftsbericht des erschütternd erfolglosen Komitees gegen
Korruption ging glatt durch. Mehr noch: Xi Jinping scheint mit
Unterstützung von Patriarch Jiang Zemin nicht erst jetzt der neue
starke Mann zu werden, sondern in Wahrheit schon längst zu sein.
Vorgänger Hu Jintao hat seine symbolische Verewigung im Hauptbuch der
Parteiideologie bekommen. Gleich nach Mao Tsetung und Deng Jiaoping
hat sich Hu dort mit dem Kapitel »Harmonie« eingereiht. Kurzum: Der
Mann ist Geschichte, tagespolitisch können wir den Reichsverweser
vergessen. Dabei steht Hu Jintao aus westlicher Sicht mehr als jeder
andere Führer in Peking für wirtschaftlichen Erfolg, erstaunliche
Innovation und eine ansehnliche Verbreiterung der vermögenden und
kräftig konsumierenden Bevölkerungsteile. Die neue Mittelschicht,
eine Million Millionäre und 6000 Milliardäre haben im wesentlichen
erst unter Hu Jintaos Regentschaft ihr Glück in China gemacht. Aus
parteiamtlicher Sicht bedeutet das zwar nichts, aber möglicherweise
ist das so, weil die KP selbst nicht mehr zählt. Chinas
Demokratiebewegung lässt sich von den Marionetten der gestern mit
Beifallstürmen verabschiedeten Peking Oper schon lange nicht mehr
täuschen. Auch das breite Volk erkennt, dass hier Vorspiegelung von
Mitsprache in einem vermeintlich gerechten Gesellschaftsmodell
stattfindet. Niemand weiß, wie lange das Modell aus Scheinmitsprache,
geistespolitischem Lenkungsanspruchs und Zwangsharmonie noch hält.
Eines hat das KP-System gezeigt: Für Veränderungen ist es nicht mehr
zu gebrauchen.

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Andreas Kolesch
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