Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Libyen

Also kein Afrika-Korps. Die Deutschen schauen
zu, wie Briten, Franzosen, Dänen, Norweger, Italiener, Spanier,
US-Amerikaner und vielleicht noch ein paar andere Nationen Libyens
Diktator Gaddafi in die Schranken weisen. Aber die Begründung des
deutschen Außenministers Guido Westerwelle ist bei aller Aufregung
und Sorge vor einer Isolierung in Europa nachvollziehbar.
Menschenrechte sind unteilbar. Wer »L« sagt wie Libyen, muss auch »E«
sagen wie Elfenbeinküste oder »S« wie Sudan. Wo ist die Grenze
zwischen Interventionspflicht und Zurückhaltung? Auch stellt sich die
Frage, warum man im ölreichen Libyen eingreift und im ölarmen
Weißrussland nicht. Also ist es konsequenter, überhaupt nicht zu
intervenieren. Aber kann man einem Massaker zuschauen? Im ölarmen
Ruanda konnte man es vor anderthalb Jahrzehnten und zwar in einem
Ausmaß, wie es in Bengasi gar nicht möglich gewesen wäre. Vielleicht
hat sich Paris auch deswegen zur Intervention entschlossen, um einem
erneuten Vorwurf vorzubeugen, man trage das Banner der Menschenrechte
immer ganz hoch, tue aber nichts für die Einhaltung oder Rettung
derselben. Auch innenpolitische Gründe spielen eine Rolle. Die Bilder
der Kampfjets überlagern die Zahlenkolonnen der Kantonalwahlen, die
für Präsident Nicolas Sarkozy eher peinlich ausgegangen sind. Da
stellt man sich doch lieber mit geschwellter Brust und ernstem
Gesicht vor die Kameras und gibt den nachdenklichen Feldherrn.
Umgekehrt in Deutschland: Da stellt man sich ebenso nachdenklich vor
die Mikrofone und weiß, dass man zu einer verunsicherten, ängstlichen
Nation spricht, in der Jodtabletten und Geigerzähler ausverkauft sind
und die Heldentaten in Demonstrationsmärschen vor stillgelegten
Kernkraftwerken bestehen. Beide Motivationsstränge sind verständlich
und nachvollziehbar. Westerwelle kann für sich außerdem ins Feld
führen, dass man solche Aktionen auch immer vom Ende her bedenken
sollte. »Respice finem« nannten das die Klassiker. Ein Ende könnte so
aussehen: Das UN-Mandat berechtigt nicht zum dauerhaften Einsatz von
Bodentruppen, mithin zu Sturz und Vertreibung des Gaddafi-Regimes. Es
wirkt eher wie ein Veto: Das Schlimmste wird zwar verhindert, das
Problem aber nicht gelöst. De facto schafft die Intervention der
internationalen Koalition ein Patt zwischen Aufständischen und
Regime. Das führt letztlich zur Teilung des Landes und die Frontlinie
wird entlang der Siedlungsräume der feindlichen Stämme und mitten
durch die Ölfördergebiete laufen. So können, wenn die Gemüter sich
beruhigt und die Fronten verhärtet haben, die Franzosen dann von
Bengasi billiges Öl bekommen und die Deutschen von Tripolis. Das ist
vermutlich nicht geplant, aber so könnte es laufen – zum Nutzen und
Frommen Europas.

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