Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Breivik-Urteil

Anders Behring Breivik hat das Urteil mit einem
nur schwer zu ertragenden Lächeln quittiert. Der Massenmörder hat es
geschafft: Er gilt als zurechnungsfähig. Seine monströse Tat war also
nicht die eines unzurechnungsfähigen Psychopathen, sondern die eines
gewissenlos und berechnend vorgehenden Killers. Es gehört zu den
vielen Widersprüchlichkeiten des Prozesses, dass auch die
überwältigende Mehrheit der Opfer-Angehörigen den Richterspruch mit
Genugtuung aufgenommen hat. Sie forderten Gerechtigkeit – wenn es
diese nach einem 77-fachen Mord überhaupt geben kann – für ein
jahrelang geplantes Verbrechen, für das einzig und allein Breivik
verantwortlich ist und keine Psychose oder sonstige krankhafte
Störung. Mit dem Urteil ist deshalb das Mindestmögliche getan, damit
Überlebende und Hinterbliebene im Bewusstsein des Geschehenen
weiterleben können. Aber nicht mehr, denn das von Rassist Breivik
angerichtete Massaker kann weitere Folgen haben. In seiner
faschistoiden Verblendung war er angetreten, die sozialdemokratische
Arbeiterpartei zu »zerschlagen«. Seit Bekanntwerden schwerer
Einsatzpannen am Tattag stehen Rücktrittsforderungen an
Ministerpräsident Jens Stoltenberg im Raum. Der für seine bedachten
Worte nach dem Blutbad viel gelobte Sozialdemokrat sieht sich mit
Schuldvorwürfen konfrontiert, Ausgang offen. Er hatte damals von
»mehr Offenheit, mehr Humanität, aber niemals Naivität« im Umgang mit
dem Terror gesprochen. Worte, die für ihn jetzt zum Bumerang werden
könnten. Doch das Trauma rührt noch tiefer: Mit dem Prozess und dem
Urteil stellt sich ein Land auf die Probe, das weltweit als Hort von
Toleranz, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, ja für Zivilisation
schlechthin gilt. Die zentrale Frage lautet: Wie viel Humanität muss
eine Gesellschaft einem Menschen entgegenbringen, der sie zerstören
will? Wie sehr Norwegen mit sich ringt, zeigt die Tatsache, dass die
Anklage trotz zweier widersprüchlicher Gutachten auf
»unzurechnungsfähig« plädiert hat. Denn angeblich sei es schlimmer,
einen psychisch Kranken irrtümlich in ein Gefängnis zu stecken als
einen Gesunden in die Psychiatrie. Viele Norweger können mit dieser
Argumentation nichts anfangen. Laut einer Umfrage hält eine Mehrheit
die Haftbedingungen Breiviks für zu komfortabel. Drei Zellen, jeweils
acht Quadratmeter groß, stehen ihm im Gefängnis Ila nahe Oslo zur
Verfügung, ein Schlafraum, ein Trainingsraum mit Sportgerät und ein
Arbeitsraum samt Computer. Von dort hatte der 33-Jährige Briefe an
Sympathisanten geschickt und Post aus aller Welt bekommen. »Geht die
Freundlichkeit im besten Land der Welt zu weit?«, fragen
skandinavische Zeitungen. Mit der Verhängung der Höchststrafe hat das
Osloer Gericht jetzt ein Zeichen gesetzt. Terrorist Breivik bleibt
für immer unter Verschluss. Mehr darf ein Rechtsstaat nicht.

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