Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Bundeswahlkampf und zur SPD

Die halbe Republik ist noch in den Sommerferien,
der Bundeswahlkampf kommt nur langsam in Gang, und was macht die SPD?
Sie gibt das Rennen ums Kanzleramt schon auf, noch bevor die ersten
Kreuzchen gemacht sind. Es ist ein Jammer, welches Bild diese einst
so stolze Volkspartei abgibt und das ausgerechnet zu ihrem
150-jährigen Bestehen. An diesem Wochenende soll der runde Geburtstag
mit einem fröhlichen Fest in Berlin gefeiert werden. Doch die
Stimmung ist am Nullpunkt. Es ist ein einziges Hauen und Stechen: Von
gegenseitigen Schuldzuweisungen bis zu Geschäftsordnungstricksereien
ist alles dabei, was schlechten Geschmack ausmacht. Da greift der
ehemalige Parteichef Franz Müntefering per Interview die Parteispitze
offen an, um Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und vor allem das eigene
politische Lebenswerk zu verteidigen. Und da plant der Vorsitzende
Sigmar Gabriel einen Parteikonvent gleich nach dem Wahlsonntag.
Offiziell, um die Koalitionsfrage zu klären – offenkundig aber, um
sich mal ganz fix selbst abzusichern. Soll den Sündenbock doch ein
anderer geben. Die SPD rüstet sich fürs nächste Wahldebakel. Das
23-Prozent-Trauma aus dem Jahr 2009 ist lebendig. Rette sich wer
kann, lautet das Motto. Peer Steinbrück muss einem schon fast
leidtun. Endlich scheint der Kandidat Tritt zu fassen, da zerlegt
sich die Partei in ihre Einzelteile. Dass Angela Merkel – ob verdient
oder unverdient – nun auch noch die erste zarte Erholung der
Wirtschaft im Euro-Raum auf die Habenseite fällt, macht das Drama für
die SPD nur noch größer. Über die Agenda 2010 hinwegschweigen und die
Linkspartei ignorieren: Lange war Gabriel mit dieser Doppelstrategie
gut gefahren. Doch nun ist das Konzept an sein Ende gekommen. Der
Versuch, den Kandidaten der Mitte mit einem linken Programm zu
verbinden, ist krachend gescheitert. Das macht das wahre Problem der
SPD aus – nicht Steinbrücks Patzer. Zur Unzeit ist die Debatte über
den Kurs der Partei nun wieder voll entbrannt. Wofür steht die SPD?
Und vor allem: Wo will sie hin? Dabei kochen alle ihr eigenes
Süppchen. Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sind sich
in herzlicher Abneigung verbunden, mit Generalsekretärin Andrea
Nahles kann niemand sonderlich viel anfangen. Und
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die SPD-Kanzlerkandidatin
der Herzen, tut hinter den Kulissen so einiges, um sich ihre eigene,
sehr komfortable Position zu erhalten. Manch einem in der SPD ist es
offenbar lieber, Schwarz-Gelb gewinnen zu sehen als in einer Großen
Koalition selbst wieder Verantwortung zu übernehmen. Das ist
angesichts der eigenen Erfolge in der Zeit von 2005 bis 2009 töricht.
Ein Desaster aber ist es, wenn die größte Oppositionspartei fünf
Wochen vor der Wahl mehr mit sich als mit der Konkurrenz kämpft.
Darunter leiden nicht nur die eigenen Anhänger, sondern alle Bürger.
Eine lebendige Demokratie braucht Wettbewerb und keine
Selbstdemontage.

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