Jeder Politiker hat ein Recht auf ein
Privatleben. Und wenn die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine
Lötzsch, sagt, andere Prioritäten setzen zu wollen, muss man ihr das
abnehmen. Sie will sich verstärkt um ihren kranken, 80 Jahre alten
Ehemann kümmern. Dennoch überrascht der Zeitpunkt, an dem sie ihren
Rückzug von der Parteispitze bekannt gibt. In den nächsten vier
Wochen stehen die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW an.
Bei beiden Abstimmungen muss die Linkspartei um den Einzug ins
Parlament bangen. Das heißt, das Spitzenpersonal der Partei muss
seinen Einsatz verstärken. Selbst wenn jetzt Gesine Lötzsch ihre
ganze Kraft in den Wahlkampf legen könnte, ist sie ungeeignet, das
Blatt für ihre Partei zu wenden. Seit sie mit Klaus Ernst vor knapp
zwei Jahren die Linke übernahm, kennen die Wahlergebnisse und
Umfragen für ihre Partei nur eine Richtung: nach unten. Die Bilanz
des Duos ist dürftig: Ihnen ist es nicht gelungen, die Interessen von
Realos und Fundis, Ossis und Wessis unter einen Hut zu bekommen.
Ihnen fällt nicht viel mehr ein, als die Wirtschaft noch mehr unter
die Kontrolle des Staates zu stellen und das Geld, das sie nicht
haben, zu verteilen. Damit ist schon die DDR gescheitert. Selbst in
der größten Finanz-, Schulden- und Kapitalismuskrise der vergangenen
50 Jahre ist es der Linkspartei nicht gelungen, den Nachweis ihrer
Existenzberechtigung vorzulegen. Beim Parteitag im vergangenen
Oktober hatte Lötzsch noch getönt: »Der Aufstand der Empörten ist
heute dringlicher denn je.« Dieser Ruf ist verhallt. In ihre Amtszeit
fallen ausbleibende Wahlerfolge und dicke Fehler. Von den Mauertoten
und Verbrechen der DDR-Diktatur zu sprechen und zu bedauern, fällt
Gesine Lötzsch schwer. Dafür gratuliert sie Alt-Revoluzzer Fidel
Castro und würdigt seine Erfolge. Welche Erfolge? Der überraschende
Lötzsch-Rückzug hat die Linkspartei unvorbereitet getroffen. Das
Rumoren über das Duo Lötzsch/Ernst war in den vergangenen Monaten
nicht zu überhören. Nachfolgenamen wurden genannt und verschwanden in
der Versenkung. Und was kommt nach Lötzsch? In der Satzung der
Linkspartei ist ein Führungsduo mit mindestens einer Frau
vorgeschrieben. Diese Vorschrift muss auch ein Oskar Lafontaine
beachten. Einige Parteifreunde rufen ihn nach seiner überstandenen
Krebserkrankung zurück in die Bundespolitik. Dann müsste Dietmar
Bartsch – ein Lafontaine-Gegner – auf die Kandidatur verzichten. Und
Ernst hat auch noch nicht erklärt, ob er wieder kandidieren will.
Wenn der Saarländer antreten sollte, ist der Weg seiner
Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht an die Parteispitze nahezu verbaut.
Aber noch schweigt Lafontaine. Erst nach den Wahlen will die Linke
sich ums Spitzenpersonal kümmern. Wenn bei beiden Abstimmungen der
Erfolg ausbleiben sollte, wird der Druck auf das neue Führungsduo
wachsen.
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Andreas Kolesch
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