Der 13. August 1961 gehört zu den tiefsten
Einschnitten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Mauer zerriss
Berlin in Ost und West, festigte die Teilung Deutschlands und ist
Symbol des Kalten Kriegs. Sie kostete Menschen das Leben, verbreitete
Leid und steht für Unmenschlichkeit. Einer Umfrage zufolge weiß aber
jeder Dritte der unter 30-Jährigen nicht, was am 13. August 1961
geschah. Das macht nachdenklich – und verweist zum einen auf eine
schlichte Tatsache: Für eine stetig wachsende Zahl der Deutschen ist
die Mauer Geschichte, ohne Teil der eigenen Vergangenheit zu sein.
Zum anderen lässt die Umfrage die Schlussfolgerung zu, dass der Zeit
nach 1945 und der DDR-Geschichte an den Schulen mehr Platz eingeräumt
werden muss. Dass ein freies Leben in einem demokratischen
Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeit ist, ist eine Erkenntnis,
die jede Generation verinnerlichen sollte. Als die ostdeutsche
Diktatur mit Moskaus Zustimmung begann, ihre Bürger einzusperren, war
sie eigentlich schon am Ende. Denn die Abstimmung mit den Füßen hatte
sie verloren: 2,7 Millionen Frauen, Männer und Kinder waren von
Oktober 1949 an bereits in die Bundesrepublik geflüchtet, der größte
Teil über West-Berlin. Nur mit Stacheldraht, Beton und einem
Spitzelsystem konnte sich das DDR-Regime weitere 28 Jahre lang an der
Macht halten. Als seine Bürger es 1989 in einer friedlichen
Revolution stürzten, gehörten den Grenztruppen an der 155 Kilometer
langen Berliner Mauer 11 500 Mann an. Eine zweite Erkenntnis ist,
dass hinter jedem System Menschen stehen, die es aufbauen und
ausgestalten. Eine Betonwand an sich ist keine Bedrohung. Erst wenn
Herrschende Willige finden, die auf Flüchtlinge schießen, wird sie
zur tödlichen Falle. Chris Gueffroy (20) ist der letzte, der an der
Mauer erschossen wurde. Anfang Februar 1989. »Das habt Ihr wunderbar
gemacht«, soll der Kompaniechef zu seinen Soldaten gesagt haben. In
der perfiden Logik des DDR-Regimes war die Mauer ein Erfolg. Die den
Staat in seiner Existenz bedrohenden Flüchtlingswelle wurde gestoppt.
Dass ein Drittel der Berliner nach einer Umfrage den Mauerbau heute
nicht für falsch hält, ist erschreckend und zeigt, dass neben der
Schule auch die politische Bildungsarbeit gefordert bleibt. Wenn
heutzutage ein autoritäres Regime die Freiheitsrechte beschneidet, so
müssen wir uns für die betroffenen Menschen einsetzen, lautet eine
dritte Erkenntnis aus der Vergangenheit. Die Mauer ist weg, die Mauer
in den Köpfen wird kleiner – aber das Wissen um die Mauer muss im
Kopf bleiben. Es an die nächste Generation weiterzugeben, wird in
Zukunft zwar schwieriger sein, bleibt aber weiterhin notwendig.
Geschichtsvergessenheit nutzt Radikalen. Nach der zentralen
Gedenkfeier an der Bernauer Straße in Berlin wird es an diesem
Samstag um 12 Uhr eine Gedenkminute für die Maueropfer geben. Sie
dürfen nicht vergessen werden.
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Andreas Kolesch
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