Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Sieg der Sozialisten in Frankreich

Frankreichs Sozialisten stehen vor einer
Machtfülle, wie es sie noch nie in der Fünften Republik gegeben hat.
Eine absolute Mehrheit zeichnet sich ab. Präsident François Hollande
wird unumschränkt regieren können, zumal die Sozialisten auch in fast
allen Regionalparlamenten, im Senat und in den meisten Kommunen die
Mehrheit haben. In anderen Ländern ohne demokratische Tradition
spräche man von einem Ein-Parteien-Staat. Und das, obwohl die
Wählerschaft in Frankreich mehrheitlich bürgerlich ist. Das liegt am
Wahlsystem. Jeder Kandidat, der 12,5 Prozent der Stimmen erreicht,
kommt in die Stichwahl. Dort reicht dann die relative Mehrheit. Es
wird am kommenden Sonntag in etlichen Wahlkreisen mehr als zwei
Kandidaten geben und zwar einen von der Linken und zwei von der
Rechten. Da die Bürgerlichen und Rechten sich streiten, wird der
linke Block der lachende Dritte sein. Die rechtsgerichtete Front
National von Marine Le Pen wird von ihrer Blockadehaltung nicht
profitieren und maximal zwei Sitze erobern. Träfe sie mit der
bürgerlichen UMP Wahlvereinbarungen, wonach der Schlechterplatzierte
aus dem Mitte-Rechts-Lager seinen Wählern empfehlen würde, den
bürgerlichen oder rechten Kandidaten zu wählen, dann könnte sie mit
einem Dutzend Abgeordneten rechnen. Doch Marine Le Pen blockt ab in
der Hoffnung, dass die Sozialisten das Land ruinieren und die
Menschen sich dann der Front National zuwenden. Dass die Sozialisten
das Land an den Rand des Ruins steuern werden, ist wahrscheinlich.
Schon jetzt regiert Hollande mit Symbolen. Er hat die Gehälter der
Minister um ein Drittel gekürzt. Das macht Eindruck. Aber er hat auch
die Zahl der Regierungsmitglieder erhöht, so dass der Spareffekt
gerade mal ein paar tausend Euro im Monat ausmacht. Er hat das
Rentenalter wieder auf 60 Jahre gesenkt und zwar für Arbeitnehmer,
die 42 Jahre gearbeitet haben. Das macht sich gut, aber zu den 42
Jahren zählen auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, so dass die Zahl der
Nutznießer wesentlich höher liegt und im Ergebnis dann doch
mindestens drei Milliarden Euro neue Kosten pro Jahr ausmacht.
Hollande redet von Wachstum. Aber er wird dafür Schulden machen und
diese auf die EU abwälzen in der Hoffnung, dass gesündere Länder wie
Deutschland, Niederlande, Finnland und Tschechien die Zeche zahlen.
Dafür will er Eurobonds und eine Fiskalunion, aber letztlich die
Souveränität über die Finanzpolitik behalten. Ein Vorgänger
Hollandes, der frühere Staatspräsident Jacques Chirac, hat
Souveränität einmal so definiert: Souverän ist, wer über den
Ausnahmezustand entscheidet. Dieses Recht auf eine eigene Revolution
wird sich kein französischer Politiker nehmen lassen. Während die
Deutschen über mehr Macht für Brüssel debattieren, läuft in
Frankreich die Diskussion genau anders herum: Weniger Macht für
Brüssel, höhere Schutzmauern für die eigene Souveränität. Auf
Bundeskanzlerin Angela Merkel kommen harte Zeiten zu.

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