Kommt er nicht, gibt es Schelte. Kommt er doch,
so ist es auch falsch: Mit seinem – zugegebenermaßen arg spät
erfolgten – Besuch in Gorleben konnte Bundesumweltminister Norbert
Röttgen (CDU) die Gegner des möglichen Atommüll-Endlagers nicht
besänftigen. Der Ortstermin des Ministers taugte allenfalls als
Symbol: Seht her, ich zeige Flagge. Einen wirklichen Dialog hatte
Röttgen bei seiner Stippvisite gar nicht eingeplant. Dabei wäre der
notwendiger denn je. Mehr als 13 000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll
hat Deutschland nach Berechnung des Bundesamts für Strahlenschutz
bereits angehäuft. Wäre es beim rot-grünen Atomausstiegsbeschluss
geblieben, wären bis zum geplanten Laufzeitende weitere rund 4000
Tonnen hinzugekommen. Mit der von Union und FDP beschlossenen
Laufzeitverlängerung steigt die Menge nochmals um etwa 3500 Tonnen.
Mehr als 21 000 Tonnen strahlende Hinterlassenschaft wird Deutschland
dereinst endlagern müssen. Diese Notwendigkeit wird auch von
Atomkraftgegner nicht bestritten. Wo aber findet sich ein Ort, der
auf ewige Zeiten sicher genug ist? In Gorleben? Durchaus möglich.
Bislang ist die Eignung des Salzstocks jedenfalls nicht widerlegt.
Doch bewiesen ist sie ebenfalls noch nicht. Die von Röttgen verfügte
Wiederaufnahme der Erkundungsarbeiten ist deshalb sachlich richtig
und politisch falsch. Denn niemand hat bislang die Frage beantwortet,
ob es noch andere, möglicherweise besser geeignete Standorte gibt.
Wahn im Emsland, Weesen-Lutherloh bei Celle, Lichtenhorst bei
Nienburg: All diese Orte waren vor mehr als drei Jahrzehnten noch im
Gespräch. Auch dort gibt es Salzstöcke. Und was ist mit
Süddeutschland? Der Schwäbischen Alb, die zwar keine Salzstöcke,
dafür aber Tongestein zu bieten hat? Die Schlichtung beim Bahnprojekt
»Stuttgart 21« hat erwiesen, dass eine breite Bürgerbeteiligung an
gesellschaftlich umstrittenen Großprojekten sinnvoll ist. In
Stuttgart waren aber zu viele Fakten geschaffen worden, als dass ein
wirkliches Umsteuern noch möglich gewesen wäre. Diese Gefahr besteht
in der Endlagerfrage nicht – noch nicht. »Einem ernst gemeinten
Mediationsverfahren würden wir uns nicht grundsätzlich
entgegenstellen«, sagt Andreas von Bernstorff, einer der
prominentesten Gorleben-Gegner. Aber eben nur dann, wenn am Ende
eines solchen Prozesses auch ein anderer Ort für ein Endlager stehen
könnte. Keine Frage: Ein Neustart der Endlagersuche wäre teuer und
langwierig. Doch diesem Aufwand stünde eine hohe gesellschaftliche
Rendite gegenüber. Die Schweiz macht diesen Prozess gerade durch.
Zeitziel für das dortige Endlage ist 2040. Soviel Zeit sollte sich
auch Deutschland nehmen. Wenn es am Ende doch auf Gorleben
hinauslaufen sollte, dann aber mit Fug und Recht.
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Andreas Kolesch
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