Eigentlich könnte alles so leicht sein. Wenn die
Politik nicht entscheiden will, fragt sie einfach das Volk. Und dann
wird es halt so gemacht, wie die Bürger es möchten. Doch ganz so
simpel ist es freilich nicht. Schon gar nicht, wenn es um das
hochbrisante und emotional noch immer aufgeladene Projekt Stuttgart
21 geht. Egal, wie das Ergebnis des Volksentscheids lauten mag: Der
Streit um eines der größten Infrastrukturvorhaben Deutschlands wird
weitergehen. Den von Bahnchef Rüdiger Grube so erhofften, weil
dringend notwendigen Schlussstrich unter das Kapitel wird es aller
Voraussicht nach nicht geben. Die Gegner von Stuttgart 21 werden
auch im Fall einer Niederlage weiter Stunk machen. Für sie geht es
längst nicht mehr nur um einen Bahnhofsneubau, sondern ums Prinzip.
Und in diesem erbittert geführten, aber in der Härte nicht
nachvollziehbaren Kampf scheint ihnen fast jedes Mittel recht zu
sein. Das fängt mit der Kritik an, dass die Baden-Württemberger nicht
über das Projekt an sich entscheiden, sondern umständlich über den
vom Landtag abgelehnten Gesetzentwurf zum Ausstieg. Deshalb müssen
diejenigen, die für den Neubau des 4,1 Milliarden Euro teuren
Durchgangsbahnhofs sind, mit »Nein« stimmen und die, die den Bahnhof
nicht wollen, mit »Ja«. Die Gegner haben signalisiert, das Ergebnis
nicht akzeptieren zu wollen. Sie befürchten, dass das Quorum nicht
erreicht wird. Denn laut Verfassung müsste ein Drittel der 2,5
Millionen Wahlberechtigten für den Ausstieg des Landes aus der
Bahnhofs-Finanzierung sein. Das sind mehr Stimmen, als SPD und Grüne
bei der Landtagswahl zusammen hatten. Sogar Regierungsmitglieder wie
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) halten den Weiterbau
auch dann für kritisch, wenn das Quorum knapp nicht erreicht wird und
die Mehrheit dagegen ist. Sollte die Volksabstimmung vollends eine
Pleite werden, weil die Baden-Württemberger lieber auf den
Weihnachtsmarkt anstatt an die Wahlurne gehen, werden die Gegner die
Karte Finanzierungsvorbehalt spielen. Und das bedeutet: Muss der
Bahnchef mehr ausgeben als geplant, geht der Ärger von vorne los.
Glaubt man den Umfragen, ist die Mehrheit für Stuttgart 21. Alles
andere als ein Votum pro Bahnhofsneubau wäre eine Überraschung – und
angesichts drohender Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe eine
Katastrophe für das Land. Am wahrscheinlichsten ist aber, dass das
Quorum am Sonntag erst gar nicht erreicht wird. Trotz
Volksentscheids: Stuttgart 21 bleibt ein Problem. Für die Bahn, die
sich keine Fehler erlauben darf. Für die Gegner, die weiter Krawall
machen werden. Für den grünen Ministerpräsidenten, der den Weiterbau
nicht stoppen kann. Und für die SPD, die mit ihrem Vorschlag einer
Volksabstimmung die Probleme zwar aufgeschoben, nicht aber aufgehoben
hat.
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