Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Welternährungstag

Ich begrüße es sehr, dass das Thema Hunger am
heutigen Welternährungstag im Fokus der Öffentlichkeit steht. Denn
Hunger ist eine der größten Katastrophen unserer Zeit. Es haben
weltweit immer noch 925 Millionen Menschen nicht ausreichend zu
essen. Das sind 925 Millionen Menschen zuviel. Vor allem die
Unterernährung von Kindern hat erschreckende Ausmaße angenommen. So
sterben Schätzungen zufolge jedes Jahr 2,2 Millionen Kinder an
Mangel- und Unterernährung. Untersuchungen zeigen, dass der Hunger
bei Kleinkindern besonders schwerwiegend ist und langfristig
dramatische Auswirkungen auf das Leben des Individuums aber auch der
gesamten Gesellschaft hat. Vor allem die Zeitspanne zwischen
Empfängnis und dem zweiten Lebensjahr ist für die Entwicklung
entscheidend. Wenn in diesen 1000 Tagen zu wenig oder die falsche
Nahrung zur Verfügung steht, sind die negativen Folgen der
Unterernährung irreversibel. Mütter, die als Kind schlecht ernährt
waren, bringen häufig untergewichtige Kinder zur Welt. Diesen
Teufelskreis müssen wir durch konsequente Beratung und Förderung der
ländlichen Entwicklung durchbrechen. Auch auf politischer Ebene muss
deshalb endlich effektiv gehandelt werden. In Rom sind diese Woche
Vertreter von Regierungen, Zivilgesellschaft und der Vereinten
Nationen im UN-Welternährungsausschuss zusammengekommen, um über die
Situation der Hungernden zu beratschlagen. Sowohl die Regierungen der
betroffenen Länder als auch die Industrieländer müssen gemeinsam die
Ursachen bekämpfen. Auch Deutschland ist hier in der Pflicht. Die
Bundesregierung hat zwar beim G8-Gipfel 2009 und im Koalitionsvertrag
von 2009 viele Zusagen und Versprechungen zur Förderung der
ländlichen Entwicklung und der Landwirtschaft in der
Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Doch auf die Umsetzung der
Ankündigungen warten wir leider noch immer. Auf dem Millenniumsgipfel
im September in New York hat die Bundeskanzlerin betont, dass nicht
die Höhe der finanziellen Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit
wichtig sei, sondern die Wirkung. Doch nach fast 50 Jahren
Erfahrungen in den Ländern des Südens wissen wir, dass weniger nicht
mehr ist. Ländliche Entwicklung zur Hungerbekämpfung wird nur Wirkung
zeigen, wenn genug Mittel vorhanden sind – für Bewässerungsanlagen,
verbessertes Saatgut, Fortbildungen, aber auch für Maschinen und den
Bau von Straßen. Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe tragen
ihren Teil dazu bei, Hilfe zu leisten. Aber sie können dies nicht
alleine schultern. Die Bundesregierung darf sich nicht aus ihrer
globalen Verantwortung für die Verwirklichung des Menschenrechts auf
Nahrung stehlen, sondern muss einen aktiven Beitrag zur
Hungerbekämpfung leisten und ihre einmal gemachten Zusagen erfüllen.

Für das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) schreibt Bärbel Dieckmann.
Die Autorin ist Präsidentin der Welthungerhilfe und war von 1994 bis
2009 Oberbürgermeisterin von Bonn und von 2001 bis 2009 Mitglied des
Bundesvorstandes der SPD.

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