Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Atomkatastrophe

Fukushima – das zweite Tschernobyl? Erst war es
nur eine Befürchtung, jetzt wird es mehr und mehr zur traurigen
Gewissheit. Inzwischen hat es mindestens in vier der sechs
Reaktorblöcke Explosionen gegeben, der innere Schutzmantel eines
Reaktors in Fukushima I ist beschädigt. Immer mehr Radioaktivität
tritt aus, die Kernschmelze scheint unvermeidlich, die Bevölkerung
rund um Fukushima flieht in den Süden oder wartet auf die
Evakuierung. Es ist ein Albtraum. Um so unverständlicher fallen
vielfach die Reaktionen in Europa aus. Obwohl die Atomkraftwerke im
Hightech-Land Japan außer Kontrolle geraten, tun Regierungen hier so,
als müssten sie daraus für sich keine Konsequenzen ziehen. Dies sei
nicht die richtige Zeit, um über die spanischen Atomkraftwerke zu
debattieren, sagte Spaniens Umweltministerin Rosa Aguilar gestern.
Wie bitte? Wenn nicht jetzt, wann denn sonst sollten die europäischen
Regierungen über die Sicherheit ihrer Kernkraftwerke nachdenken?
Aber die Mischung aus Sturheit, Technikgläubigkeit und dem Motto »Es
wird schon nichts passieren« findet sich nicht nur in Madrid, sondern
auch in Paris, London und Rom. »Ein Ausstieg kommt nicht in Frage«,
betont Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, und Italiens Minister
für wirtschaftliche Entwicklung, Paolo Romani, erklärt, das Land
könne sich »keine neue Atomangst leisten«. Europa setzt massiv auf
die Kernkraft, in Frankreich etwa hat sie einen Anteil von 75 Prozent
an der Stromerzeugung. Ein Atomausstieg käme teuer, deshalb schrecken
vor allem finanziell angeschlagene Länder wie Spanien schon vor dem
Gedanken zurück. Statt Japan als Offenbarungseid einer
Risikotechnologie zu begreifen, behaupten Madrid und Paris lieber,
ihre Reaktorblöcke seien sicher und Erdbeben unwahrscheinlich. Hat
die Bundesregierung etwa überreagiert, als sie die Verlängerung der
Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke für drei Monate aussetzte und
sich mit den Ländern darauf einigte, die sieben ältesten Meiler
vorübergehend abzuschalten? Nein, hat sie nicht. Kanzlerin Angela
Merkel hat der Angst in der Bevölkerung vor einem Störfall Rechnung
getragen und lässt die Sicherheit der AKWs überprüfen. Weil sich aber
radioaktive Strahlung um Landesgrenzen nicht schert, müssten alle
europäischen Meiler auf den Prüfstand. Welche laufen mit veralteter
Technik? Eine Explosion in einem von ihnen hätte verheerende Folgen
für den ganzen Kontinent. Wenn schon die Mehrheit der Länder an der
Kernkraft festhalten will, müsste Europa zumindest einheitliche
Sicherheitsstandards für seine Meiler entwickeln. Kraftwerke müssten
nachgerüstet und die Einhaltung der Vorgaben überwacht werden. Das
wäre im Sinne der Bevölkerung eine selbstverständliche Antwort auf
die Bilder aus Japan. Nur auf den lieben Gott zu vertrauen, wäre
fahrlässig.

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