Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Situation vor dem Bundesparteitag

Wer ist der bessere Schachspieler im Kampf um
die Kanzlerschaft 2013? Peer Steinbrück (mit Unterstützung des
Altkanzlers Schmidt) oder Angela Merkel? Kurz vor dem Bundesparteitag
der CDU in Leipzig hat die Bundeskanzlerin einen sehr klugen
Schachzug gespielt und damit Freund und Feind gleichermaßen
überrascht. Wahlpleiten, Dauerärger in der Koalition, die schlechte
CDU-Performance insgesamt – das alles ist in den Hintergrund gerückt,
nachdem die CDU-Vorsitzende höchst geschickt das Thema Mindestlohn
hervorzauberte und damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe
schlug. Ähnlich wie es schon beim Atomausstieg der Fall war, besetzt
Merkel ein ureigenes Thema des politischen Gegners, bei dem die CDU
lange Zeit nur Zuschauer war. Dass der eigentliche Begriff mit dem
Wort »Lohnuntergrenzen« kaschiert wird, ist ein cleverer Nebenaspekt.
Merkels Plan geht aber weit über Leipzig hinaus. Ihr Ziel ist es, im
Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 alle relevanten Themen zu
besetzen. Damit mutet sie ihrer Partei zwar einiges zu, macht sie
aber zugleich wählbar für Menschen, die sich sonst eher zu anderen
Parteien hingezogen fühlen. Die Geschwindigkeit, mit der die
Kanzlerin die Union reformiert, lässt selbst Mitglieder aus den
eigenen Reihen staunen. Kaum hat die CDU den Ausstieg aus der
Atomenergie halbwegs verdaut, folgt mit dem Mindestlohn nun
ausgerechnet ein Thema, das die Christdemokraten in den vergangenen
Jahren heftigst bekämpft haben. Merkel muss deshalb in Leipzig mit
starkem Gegenwind rechnen, weil der wirtschaftspolitische Flügel der
Partei äußerst mächtig ist und die Interessen zahlreicher
mittelständischer Unternehmen in diesem Land vertritt. Die Firmen
fürchten die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns aus dem
Grund, weil sie tausende von Arbeitsplätzen bedroht sehen. Auf der
anderen Seite gibt es viele Menschen in Deutschland, deren Lohn
menschenunwürdig ist. Auf dem Parteitag gilt es, diesen Konflikt
gesichtswahrend zu lösen, aber das erscheint nicht unmöglich. Wer ist
der bessere Schachspieler im Kampf um die Kanzlerschaft 2013? Peer
Steinbrück oder Angela Merkel? Steinbrücks Schachzug – gemeinsame
TV-Auftritte und Interviews mit Altkanzler Schmidt – hat seine
Wirkung verfehlt. Die Werbetour war die falsche Strategie und zeigt,
dass Steinbrück sich leicht entzaubern lässt, beziehungsweise sich
selbst entzaubert. Angela Merkel kann auch Schach spielen. Sie geht
hohes Risiko, agiert aber bislang gescheiter und ist effektiver als
ihr möglicher Kontrahent. Und dennoch: Trotz ihres klugen
Mindestlohn-Schachzuges ist beim Parteitag mit Harmonie nicht zu
rechnen. Schon gar nicht wird die CDU ihre Vorsitzende angesichts der
aktuellen Debatte in die Arme schließen. Aber das kann Angela Merkel
egal sein. Sie hat nur ein Ziel. Und das heißt: Bundestagswahl 2013.

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