Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Stuttgart-Wahl

Lange hieß es in Baden-Württemberg, die CDU
könne einen Besenstil aufstellen und würde dennoch gewinnen. Auch
ohne Polemik ist die Wahrheit für die Christdemokraten bitter: Der
Südwesten als Stimmengarant der Partei ist ein Relikt der
Vergangenheit. Die Grünen sind – auch ohne Atomkatastrophe – zum
ernstzunehmenden Gegner im Ländle geworden. Die Wahl Winfried
Kretschmanns zum Landeschef als Eintagsfliege zu bezeichnen, ist
schlichtweg falsch. Das beweist der Erfolg von Fritz Kuhn in
Stuttgart. Er zeigt, dass die Grünen mit bürgerlich-konservativen,
fast biederen Köpfen und Themen statt reinem Ökopartei-Charme
punkten. Ein bodenständiges Bundesland wählt grün. Kuhns Sieg als
Signal für den Bund zu werten, geht allerdings zu weit. Alleine die
Tatsache, dass die SPD in Stuttgart nahezu unsichtbar war, was den
Grünen Sympathisanten eingebracht hat, ist Beweis genug, dass die
Dinge in Berlin anders liegen. Außerdem würden sich die linken
Landesverbände der Grünen bedanken, wenn sie den eher konservativen
Kurs Kuhns übernehmen sollten. Grundsätzlich gilt aber, dass es die
Grünen schaffen, das so genannte Ökobürgertum an sich zu binden und
gleichzeitig für traditionell-konservative Wählerschichten
interessant zu werden. Die Christdemokraten haben hingegen genug
damit zu tun, Stammwähler mit einem moderneren Kurs nicht zu
vergrätzen. Konservativ und modern – ein Spagat, den die CDU
versucht, der ihr jedoch mehr Probleme als Wähler bringt. In den
eigenen Reihen wird der »Modernisierungskurs« gerügt. Parallel wird
der CDU vorgeworfen, zu unmodern für Großstädte zu sein. Ein Graben,
der schwer zu schließen ist. Die Partei muss klären, warum sie nach
40 Jahren die Macht in einer Hochburg verliert und in Großstädten
schwächelt. München, Köln, Frankfurt, Leipzig, Hamburg reichen als
Beispiele. Und bald steht Karlsruhe an. Umfragen sehen nach 40 Jahren
CDU die SPD vorne. Kanzlerin Angela Merkel räumt ein, dass ihre
Partei in Städten »das Lebensgefühl« nicht wahrnehme. Ein Konzept
präsentiert sie nicht. Merkel muss sich entscheiden: Setzt sie auf
konservativ? Oder öffnet sie die CDU für Modernisierung, um neue
Wähler zu gewinnen? Beides zusammen funktioniert zwar als
Regierungsstil mit Merkels Pragmatismus. Es taugt aber nicht, um
einer Partei Profil zu geben. Speziell in Stuttgart kam der CDU nicht
nur der EnBW-Skandal von Ex-Landeschef Stefan Mappus in die Quere,
sondern auch Wahlkampfschwäche. Der partei- und profillose Kandidat
von CDU, FDP und Freien Wählern, Sebastian Turner, schreckte
CDU-Stammwähler ab, die fragten, ob es keinen Fähigen in der Partei
gab. Dann setzte er auch noch auf das überholte Bild des grünen
Schreckgespensts, das den Industriestandort in Gefahr bringe. Lieber
vorm Gegner warnen als eigene Inhalte liefern. Dabei vergaß er
allerdings: Vor den Grünen hat keiner mehr Angst – schon gar nicht im
Südwesten.

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