Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Vereidigung von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft

Gestützt auf eine eigene satte Mehrheit und
freundlich begrüßt von einer Abordnung wohlwollender Piraten ist
Hannelore Kraft gestern als Ministerpräsidentin wiedergewählt worden.
Niemand, auch nicht bei der Opposition, zweifelte gestern an dem
damit verbundenen guten Omen. Die Ministerpräsidentin steht für fünf
Jahre Stabilität. Sie werde ihr Bestes geben, versprach Kraft. Und
der feierlichen Stunde geschuldet fügte sie dann einen mehr aus dem
Herzen als aus dem Kopf stammenden Wunsch hinzu: »Seien Sie so nett
und helfen Sie mir dabei.« Dabei ist klar, dass es schon heute mit
der Hochstimmung vorbei ist, wenn das ganze Elend um die
West-LB-Pleite vor dem Landtag ausgebreitet wird. Die
Milliardenbeträge, die nachgeschossen werden müssen, stehen
stellvertretend für das große Dauerthema der kommenden
Legislaturperiode. Bis 2017 wird nichts bestimmender sein, als das
fehlende Geld. Der in vielen Punkten zu hinterfragende
Koalitionsvertrag von SPD und Grünen ist in einem Aspekt
hochanständig. Er stellt alle Projekte unter Finanzierungsvorbehalt.
Das bedeutet, alle Wahlversprechen – angefangen beim zweiten
kostenfreien Kindergartenjahr über eigene Beiträge zur Energiewende
bis zum millionenteuren Nationalpark – können und dürfen nur
verwirklicht werden, wenn das erforderliche Geld zur Verfügung steht.
Leider fehlt in dem fast 200 Seiten umfassenden Vertragswerk der
unmissverständliche Hinweis, dass nur eigenes, aber nicht geliehenes
Geld ausgegeben werden darf. Die 2020 einzuhaltende Schuldenbremse
wird nur vage als Ziel formuliert. Konkrete Sparvorgaben fehlen.
Wirklich beklagenswert ist die Unbestimmtheit bei den Einnahmen.
Konkret gibt es nur zwei vermeintlich landeseigene Geldquellen: eine
Kiesabgabe und die Anhebung von Gerichtsgebühren. Allerdings:
Baggereien an Weser und Rhein fördern nicht Gold, sondern lediglich
grobkörniges Steingut, und die Tarife an der Justizkasse setzt Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger fest. De facto setzt die zweite
Regierung Kraft auf Berlin, genauer: auf einen Wahlsieg von Rot-Grün
bei der Bundestagswahl 2013. Denn nur dort und dann können die
NRW-Finanzwünsche in Erfüllung gehen: höhere Erbschafts und eine neue
Vermögenssteuer. Volkswirtschaftsprofessorin Gisela Färber aus
Speyer hat auf eine weitere Ungereimtheit im Koalitionsvertrag
hingewiesen, zu der die Landesregierung dringend Stellung nehmen
sollte: »Deutschlandbonds«, gemeinsame Schuldpapiere von Bund und
Bundesländern, sollen für frisches Geld in NRW sorgen. Fachfrau
Färber hält deren Auflage für gefährliches Wunschdenken. Auch bei
diesen Bonds stiegen die Zinsen. Hannelore Kraft sei die feierliche
Amtseinführung am gestrigen Tag von Herzen gegönnt. Sie wird lange
von der guten Stimmung im Parlament zehren müssen. Fünf harte Jahre
stehen bevor.

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